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Neue Chancen durch vielfältige Zugänge und Kommunikationsformen

Dr. Joachim Wenzel, Mitglied der Leitung des ifs – Institut für Systemische Familientherapie, Supervision und Organisationsentwicklung in Essen, blickte auf die Vorteile des "Blended Counseling", eine Kommunikationsform, die Online-Beratung und Präsenzberatung bewusst verknüpft.

Wie haben sich Kommunikationsformen verändert?

Der Experte begann seinen Vortrag mit einem Blick in die Vergangenheit: Bereits 1997 sei er in der Telefonseelsorge tätig gewesen. Dass dieses Medium noch mal eine Renaissance erleben würde, hätte er nicht gedacht. Doch genau dazu habe die Corona-Pandemie geführt. Die heutige Kommunikation sei jedoch vor allem durch eine Vielfalt an Zugängen geprägt, die laut Dr. Joachim Wenzel eine große Chance darstelle.

Als eine Folge der "radikalen Veränderung von Lebenswelten durch neue Kommunikationsweisen" beschrieb Dr. Joachim Wenzel, dass "gerade in Familien unterschiedlichste Kompetenzbedarfe und Polarisationsfelder aufeinandertreffen". Diese Entwicklung sollte bei der Schaffung und Vernetzung von Hilfsangeboten im Blick behalten werden.

Insbesondere digitale Medien hätten im Zuge der Krise an Bedeutung gewonnen und dienten verstärkt als Kommunikationsbrücken.

Welche Chancen bieten digitale Medien?

Einen wesentlichen Vorteil digitaler Medien sah der Vortragende darin, dass sie auch Menschen in Problemlagen erreichten, die sonst nicht erreicht würden. Das liege insbesondere an der Vielfalt der Angebote.

Zudem finde die Hilfestellung durch Fachkräfte auf diesem Wege tendenziell früher statt, was die Chronifizierung von Problemen verhindern könne.

Welche Zugänge sind besonders geeignet, um Familien zu erreichen?

Unabhängig von der Vielfalt der Angebote, sei die Niedrigschwelligkeit der Zugänge besonders wichtig. Diese sei höchst individuell. Eine allgemeingültige Hierarchie, zum Beispiel von Face-to-Face über Videomeeting, Telefon, Chat zu E-Mail, gebe es nicht, so Dr. Joachim Wenzel.

Was für eine Person einen passenden Zugang darstelle, sei für eine andere eine unüberwindbare Hürde. Beispielsweise riefen manche Menschen nur ungern irgendwo an, während andere die Kontaktaufnahme per E-Mail abschreckend fänden. Deshalb sollten Fachkräfte auch nicht ihre eigenen Präferenzen auf die Hilfesuchenden übertragen.

Hinzu komme, dass unterschiedliche Lebenswelten mit unterschiedlichen Hürden einhergingen. So seien Menschen, die auf dem Land wohnten, mit längeren Fahrtwegen konfrontiert. Und die Zugänge für Menschen mit Behinderungen verbesserten sich häufig durch technische Fortschritte.

Die Schlussfolgerung des Experten: Niedrigschwelligkeit lasse sich vor allem durch eine Vielfalt an Zugängen und Angeboten erreichen. Konzentriere man sich hingegen nur auf einzelne Kanäle, könnte diese mediale Engführung zu neuen Ausgrenzungsprozessen führen. Diese Erkenntnis sei für die Fachwelt wichtig.

Wie unterscheiden sich die Zugänge verschiedener Beratungsformen?

Die Unterschiede und Besonderheiten der verschiedenen medialen Zugänge zeigte Dr. Joachim Wenzel mithilfe einer Grafik, welche die einzelnen Formate den Bereichen Visuell, Auditiv, Zeitgleich und Zeitversetzt zuordnet. So sei beispielsweise ein Chatverlauf visuell und zeitgleich erfassbar, während eine Mailbox-Nachricht zeitversetzt abgehört werde.

Welche Chancen bietet "Blended Counseling"?

Einen weiteren wichtigen Vorteil, den die Nutzung verschiedener Zugänge mit sich bringe, erläuterte der Vortragende unter dem Begriff des sogenannten Blended Counseling. Dabei handele es sich um eine bewusste Verknüpfung von digitaler Beratung mit der Präsenzberatung. 

Dadurch, dass über verschiedene Wege unterschiedlich – und zum Teil auch Unterschiedliches – kommuniziert werde, entstünden neue Chancen und Übergangsmöglichkeiten.

Blended Counseling bezeichnete der Experte als den derzeit wichtigsten Trend in der Beratung.

Wie er die aktuelle Entwicklung von Beratungsangeboten und die Vorteile digitaler Medien bewertete, brachte der Experte nochmal auf den Punkt: "Als ich vor fast 25 Jahren mit diesen Themen gestartet bin, hatte man noch Angst, die neuen Medien würden die Beratung vor Ort vertreiben. Das Gegenteil ist der Fall: Es finden viele Menschen dadurch erst dahin."

Welche Rahmenbedingungen sind notwendig, um Blended Counseling in der Beratung zu etablieren?

Mit der fachgerechten und bewussten Nutzung verschiedener digitaler Beratungsformen gehe auch, so der Experte, die Notwendigkeit einher, dass die Fachkräfte geschult und ihren Präferenzen und Kenntnissen entsprechend eingesetzt würden.

Welche Rolle spielen Messenger-Dienste und Sprach-Nachrichten?

Auf die Nachfrage, welche Rolle die zunehmend genutzten Messenger-Dienste und Sprach-Nachrichten für die Beratung spielen, ergänzte Dr. Wenzel, dass er diesen Trend auch sehe. Er wies auf die Problematik hin, dass für diese Form der Beratung und des Austauschs die Nutzung einer datenschutzkonformen, kostenlosen App geboten sei. Hier sehe er Entwicklungsbedarf.

Wie kann Beratung in anderen Sprachen gewährleistet werden?

Seit Beginn der Corona-Krise hätten Beratungsangebote vermehrt Dolmetscherinnen und Dolmetscher eingesetzt, die per Video zugeschaltet würden, um bei sprachlichen Barrieren zu helfen. Insbesondere durch die Ortsunabhängigkeit digitaler Beratungsformen sehe er daher darin die Chance, auch diese Hürde der Beratung überwinden zu können.

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