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Fortbildung von Fachkräften im Kinderschutz

Zentrale Ergebnisse und Empfehlungen im Überblick

Entwicklung eines Anforderungs- oder Kompetenzprofils für Fortbildungen

Das Fortbildungsinteresse der Fachkräfte spiegelt nicht immer den Fortbildungsbedarf wider. Fortbildungsangebote und Fortbildungsnachfrage (der Jugendämter) sollten sich daher nicht in erster Linie an den individuellen Interessen der Fachkräfte, sondern auch an einem Anforderungs- oder Kompetenzprofil orientieren. Die Anforderungs- oder Kompetenzprofile für den ASD wie für andere Berufsgruppen sollten im Dialog von Praxis und Wissenschaft entwickelt werden. Bei der Entwicklung eines Anforderungsprofils für den Kinderschutz im ASD könnten die Landesjugendämter eine zentrale Rolle spielen.

Die Anforderungsprofile unterscheiden sich je nach Zielgruppe (Ärztinnen und Ärzte, Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter) und Arbeitsbereich (ASD, Gesundheitswesen, Frühe Hilfe, Hilfen der Erziehung (HzE)). Wichtig ist, die unterschiedlichen Profile aufeinander abzustimmen und so bereits konzeptionell Konflikte bei der Kooperation und bei den Übergängen zu vermeiden.

Integration vielfältiger Themen

Für Fortbildungen derzeit besonders relevant zeigen sich entwicklungspsychologische Themen, ferner die Themen 'Gespräche mit Kindern‘‚  'Sucht- und psychiatrische Erkrankungen‘ sowie die Frage der Gestaltung der Kooperation mit anderen Disziplinen und Professionen im Kinderschutz.

An Fortbildungen zu Traumapädagogik nehmen häufig Fachkräfte aus der Jugendhilfe teil und melden zurück, dass die Lerninhalte hilfreich für die Arbeit mit den Kindern, Jugendlichen und Familien sind.

Vielfalt an Anbietern

In einigen Bundesländern und Kommunen haben sich Schwerpunktanbieter von Fortbildungen im Kinderschutz herausgebildet. Dies hat den Vorteil, dass einheitliche Konzepte vermittelt werden und die Verbreitung inhaltlicher Widersprüche bzw. konkurrierender Ansätze vermieden wird. Zugleich wird die Beschränkung auf einen Anbieter auch als hinderlich und unangemessene Einschränkung der Auswahl erlebt.

Motivation zur und Anerkennung von Fort- und Weiterbildung

Die Teilnahme an Fortbildungen oder der Abschluss einer Weiterbildung wird von vielen Jugendämtern nicht ausreichend oder in geeigneter Form honoriert. Dies wirkt sich hinderlich auf die Motivation zur Teilnahme aus und kann im ungünstigsten Falle dazu führen, dass Fachkräfte nach dem Abschluss einer Weiterbildung eine besser bezahlte Stelle z. B. bei einem freien Träger annehmen. Der ASD verfügt bisher über zu wenig Aufstiegsangebote und monetäre Anreize, um Fort- und Weiterbildungen anzuerkennen und attraktiv zu machen.

Entwicklung von Gütekriterien für Fortbildungen?

Im Bundesgebiet gibt es eine Vielzahl an z. T. sogar zertifizierten Fortbildungen (z. B. die Fortbildung zur insoweit erfahrenen Fachkraft im Kinderschutz oder zur Kinderschutzfachkraft). Trotz der Zertifizierung und der in § 8a SGB VIII vorgesehenen Vereinbarungen über die Qualifikation der insoweit erfahrenen Fachkräfte sind die Fortbildungen sehr unterschiedlich. Gemeinsame (Minimal-)Standards oder Anforderungsprofile gibt es derzeit nicht. Hier stellt sich die Frage, inwieweit der Bund eine Diskussion und die Verständigung auf gemeinsame Gütekriterien für Fortbildungen dieser Art initiieren sollte, und inwieweit die Entwicklung von Anforderungsprofilen für Fortbildnerinnen und Fortbildner einen Beitrag zur Qualitätssicherung leisten könnte.

Verpflichtung zur Fortbildung? In anderen Ländern gibt es im Bereich Kinderschutz eine Pflicht zur Fortbildung; in Deutschland gibt es derartige Verpflichtungen in anderen Arbeitsfeldern wie z. B. der Medizin. Verpflichtende Fortbildungen im Kinderschutz könnten auch hierzulande Standard werden, um sicherzustellen, dass sich die Fachkräfte auf dem aktuellen Wissensstand befinden und ihre Arbeit und Haltung regelmäßig reflektieren. Eine Diskussion hierzu steht derzeit noch aus.

Auffrischung und Aktualisierung von Wissen? Die Anzahl der Fälle im Kinderschutz, mit denen Fachkräfte im Alltag konfrontiert werden, ist unterschiedlich hoch. Auch die insoweit erfahrenen Fachkräfte haben bisweilen nur wenig oder selten Anfragen zur Fachberatung. Die Folge ist, dass viele Fachkräfte sich schwer tun, Routine zu entwickeln und Erfahrungen zu sammeln. Das in den Fortbildungen erworbene Wissen geht in der Folge sukzessive verloren. Vor allem im Bereich der Fachberatung braucht es daher Konzepte, wie das Wissen der Fachkräfte auf dem aktuellen Stand gehalten werden kann.

‚Sonderqualifikation‘ für die Arbeit im Kinderschutz?

Die Arbeit im Kinderschutz ist eines der anspruchsvollsten Arbeitsfelder in der Sozialen Arbeit. Die Verantwortung, die damit einhergeht, ist enorm. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit Sonderqualifikationen – zum Beispiel analog des Facharzt-Modells in der Medizin – oder eine entsprechende Weiterbildung zur Vorbedingung der Arbeit im Kinderschutz gemacht werden sollten. Festzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass der Anreiz für eine zeit- und kostenaufwändige Zusatzausbildung in anderen Berufsfeldern höher ist, weil sie u. a. mit wirtschaftlichen Vorteilen einhergeht. Zum Beispiel haben psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten nach der Ausbildung die Aussicht, einen Kassensitz zu erwerben und Behandlungen mit der Krankenkasse abzurechnen. Vergleichbare Anreize fehlen bisher in der Kinder- und Jugendhilfe.

Das in den Kinderschutzfortbildungen vermittelte Spezialwissen baut auf einem breiten Basiswissen auf. Mit zunehmendem Anforderungs- und Spezialisierungsgrad könnte daher die Festlegung von Zugangsvoraussetzungen zu Fortbildungen (z. B. Berufserfahrung, bereits absolvierte Fortbildungen etc.) sinnvoll sein.

Gemeinsame Fortbildungen für öffentliche und freie Träger

Nicht zuletzt im Rahmen der Fortbildungswelle, die die Einführung des § 8a SGB VIII ausgelöst hat, konnte beobachtet werden, dass gemeinsame Fortbildungen für Fachkräfte des öffentlichen und der freien Träger einen Beitrag zur gegenseitigen Verständigung und ggf. auch einer besseren Kooperation leisten können. Daher sollte eine gemeinsame Schulung der Fachkräfte als Strategie in Fortbildungskonzepten verankert werden.

Ausbau interdisziplinärer, multiprofessioneller und überregionaler Angebote

Interdisziplinäre Fortbildungen können ein gemeinsames Verständnis fördern, sprachliche Hürden senken und zur Verbesserung der Zusammenarbeit beitragen. Bisher werden jedoch nur sehr wenige multidisziplinäre Fortbildungen für Fachkräfte der Jugendhilfe, des Bildungswesens und des Gesundheitswesens, für Richterinnen und Richter sowie Verfahrensbeistände angeboten. Hinderlich wirkt sich hierbei offenbar die unterschiedliche Zuständigkeit für die Bereitstellung und Förderung der Angebote aus, wodurch eine Versäulung der Fortbildungen eher manifestiert wird.

Online-Formate für Fortbildungen

Nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Corona-bedingten Einschränkungen gibt es zunehmend Online-Fortbildungen zu Kinderschutzthemen. Das Interesse der Fachkräfte ist den Beobachtungen der Jugendämter zufolge eher verhalten, was sowohl an fehlender technischer Ausstattung als auch an Vorbehalten gegenüber dem Format liegt. Im Gegensatz dazu steht allerdings die hohe Nachfrage nach den Online-Fortbildungen zum Kinderschutz an der Universität Ulm.

Eine Evaluation der digitalen Angebote sowie die systematische Sammlung der Erfahrungen mit diesen Formaten wäre hilfreich, um online-basierte Fortbildungskonzepte weiterzuentwickeln. Grundsätzlich festzuhalten ist, dass Online-Veranstaltungen Präsenzveranstaltungen nicht gänzlich ersetzen sollen oder können.  

Sogenannte "Blended-Learning-Konzepte", also Lernmodelle, in denen computergestütztes Lernen (z. B. Online-Sessions zum Austausch oder für Fallbesprechungen) mit klassischen Präsenzangeboten kombiniert werden, könnten hilfreich sein, um Bausteine der Wissensvermittlung, des Trainings und der Reflexion miteinander zu verbinden.

Evaluation von Fortbildungsangeboten

Die Teilnehmenden nach Abschluss der Fortbildung zu ihrer Zufriedenheit mit der Veranstaltung zu befragen ist ein verbreitetes Verfahren. Dieses Vorgehen ist grundsätzlich sinnvoll und hilfreich. Studien dazu, wie sich Fortbildungen auf das konkrete Handeln der Fachkräfte im Kinderschutzauswirken, fehlen jedoch.

Aufgrund der hohen Nachfrage gibt es eine große Anzahl an kommerziellen Anbietern von Fortbildungen im Bereich Kinderschutz. Vor allem die z. T. zertifizierten Fortbildungen zur insoweit erfahrenen Fachkraft oder Kinderschutzfachkraft stehen hoch im Kurs. Sowohl für Fachkräfte als auch für Ämter und Träger ist es schwer, die Qualität der Angebote zu beurteilen. Ob sich die Kinderschutzarbeit durch die Fortbildungen und die darin vermittelten Konzepte tatsächlich verbessert, ist bislang offen. In manchen Fällen gibt es jedoch zumindest erste Hinweise aus Fallanalysen, dass die geschulten Konzepte teilweise nachteilige Effekte auf die Bearbeitung von Kinderschutzfällen haben, was die Notwendigkeit der Evaluation von Fortbildungen und deren Wirkung auf das Kinderschutzhandeln unterstreicht.

Wissensvermittlung, Kompetenzerwerb, Training, Reflexion und Supervision

Fortbildungen scheinen derzeit v. a. auf Wissensvermittlung und die Reflexion der fachlichen Haltung zu fokussieren. Drei Aspekte wurden in diesem Zusammenhang kritisch diskutiert:

  1. Die Vermittlung von (aktuellen) Erkenntnissen aus der Forschung zu kinderschutzrelevanten Themen ist in den Fortbildungen kein Standard. Vielmehr bleibt es den einzelnen Fortbildnerinnen und Fortbildnern überlassen, welche Bedeutung sie der Rezeption aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse beimessen.
  2. Neben Wissen und Kompetenzen brauchen die Fachkräfte im Kinderschutz eine reflektierte fachliche Haltung sowie geeignete Unterstützung, um belastende Situationen zu meistern und zu verarbeiten. Insofern besteht Bedarf an ausreichend Möglichkeiten der Fachberatung und Co-Arbeit sowie an Gelegenheit, Zeit und Raum für Reflexion und Supervision.
  3. Neben Wissen und Haltung ist es wichtig, dass Fachkräfte über bestimmte Skills und methodische Kompetenzen (z. B. Gesprächsführung, Fallverstehen, Risikoeinschätzung) verfügen. Diese können in der Regel nicht durch Teilnahme an singulären Fortbildungen vermittelt werden. Vielmehr braucht es prozesshaft angelegte Konzepte, die Wissensvermittlung durch Training, konkretes Üben und Reflexion der Praxisanwendung ergänzen.
  4. Es fehlen Strategien, um die Nachhaltigkeit von Fortbildungen zu gewährleisten. Vor allem Fortbildungen, die lediglich über ein oder zwei Präsenztage gehen, hinterlassen häufig wenig nachhaltige Wirkung.

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