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Neue Spielräume in Netzwerkarbeit und Studium

Prof. Dr. Martina Schlüter-Cruse über die Chancen der Zusammenarbeit von freiberuflichen Hebammen und Netzwerken Frühen Hilfen für beide Seiten sowie für Familien in belastenden Lebenslagen. Ausschnitte des Gesprächs mit der Professorin für Hebammenwissenschaft und Autorin des NZFH-Eckpunktepapiers sind im Mai 2022 im Infodienst FRÜHE HLFEN aktuell erschienen.

Wie profitieren Hebammen von der Kooperation in den Netzwerken Frühe Hilfen?

Schlüter-Cruse: Hebammen gewinnen, indem sie die Chance haben, Kontakte zu wichtigen Kooperationspartnerinnen und -partnern zu pflegen, auf die sie bei der Betreuung und Begleitung von Familien zurückgreifen können. Insbesondere für wenig vernetzte Hebammen wie Berufsanfängerinnen ist eine Einbindung in die Netzwerke Frühe Hilfen von großer Bedeutung. Hebammen profitieren von einem erweiterten Blick, der professions- und systemübergreifend ist. Sie finden insbesondere Unterstützung bei der Betreuung von Frauen und Familien mit besonderen psychosozialen Belastungen.

Was können sie ihrerseits in die Netzwerke einbringen?

S-C.: Hebammen haben einen niedrigschwelligen, nicht-stigmatisierenden und frühen Zugang: Sie betreuen Frauen von der Familienplanung an, über die regelrecht verlaufende Schwangerschaft, die Geburt sowie im Wochenbett bis zu 12 Wochen nach der Geburt. Außerdem beraten Hebammen bei Stillschwierigkeiten bis zum Ende der Abstillphase oder bei Ernährungsproblemen des Säuglings im 1. Lebensjahr.

Hebammen verfügen darüber hinaus vor allem über einen sehr vertrauensvollen Zugang zu den Frauen. Sie bringen fachliche Impulse aus der Hebammenpraxis und ihre Einschätzungen zu Belastungs- und Unterstützungsbedarfen von Frauen und Familien ein; davon können die Netzwerke Frühe Hilfen und auch die Familien profitieren.

Welche Hürden sehen Sie für eine gelingende Kooperation?

S-C.: Es wird nur gelingen, die freiberuflichen Hebammen in die Netzwerke einzubinden, wenn die Finanzierung geklärt ist. Vereinzelt gibt es bereits Modelle, dass Hebammen ihre Mitarbeit in den Netzwerken Frühe Hilfen auf Honorarbasis vergütet wird. Das ist ein wichtiger und guter Ansatz. Aber wenn die Einbindung freiberuflicher Hebammen systematisch gelingen soll, müssen zeitaufwändige Beratungs- und Betreuungssituationen in Familien sowie die aktive Weiterleitung an andere Akteure des Gesundheits- und Sozialwesens im Vergütungsverzeichnis zum Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe sichtbar werden. Die Bereitschaft zu kooperieren ist seitens der Hebammen meines Erachtens sehr groß, aber es bedarf natürlich auch der Honorierung.

Eine weitere Herausforderung sehe ich darin, die systemübergreifende Vernetzung zwischen Hebammen und Frühen Hilfen dauerhaft sicherzustellen. Hierzu bedarf es neben der Mitarbeit einzelner freiberuflicher Hebammen in den Frühen Hilfen der Etablierung von Kooperationen auf struktureller Ebene. Bestehende Strukturen im Hebammenwesen bieten gute Anknüpfungspunkte, um diese Hürde erfolgreich zu überwinden.

Wie können freiberufliche Hebammen mit ihren Angeboten belastete Familien besser erreichen?

S-C.: Ich halte ein breiteres Netz an Zugangswegen zu Hebammenleistungen für zwingend erforderlich. Ein gutes Beispiel sind Hebammenzentralen, die an vielen Stellen auch schon etabliert sind. Hebammen können dort freie Kapazitäten melden und schwangere Frauen haben eine zentrale Anlaufstelle für die Suche nach einer Hebamme.

Wichtige niedrigschwellige Zugänge sind sicher auch gute Online-Angebote, Online-Hebammensuchen und so weiter. Da ist sicher noch Ausbaubedarf, um zielgruppenspezifische Zugangswege online zu schaffen.

Auch die Zusammenarbeit von Hebammen und Schwangerschaftsberatungsstellen ist ein wichtiger Aspekt. Durch eine gemeinsame Mitarbeit in den Netzwerken Frühe Hilfen kann diese Zusammenarbeit gestärkt werden.

Was bringen die neuen  Curricula der Hebammenausbildung für die Frühen Hilfen?

S-C.: Mit dem neuen Hebammengesetz haben Hochschulen und Universitäten unter anderem den Auftrag erhalten, bei den Studierenden den Erwerb von Kompetenzen zu fördern, um belastete Lebenssituationen und psychosoziale Problemlagen bei Frauen und deren Familien zu erkennen. Es geht darum Studierende zu befähigen, besondere Bedarfe wahrzunehmen und auf passgenaue Unterstützungsmaßnahmen bei diesen Familien hinzuwirken sowie interprofessionell mit anderen Berufsgruppen zusammenzuarbeiten. Es geht aber nicht darum, dass freiberufliche Hebammen die Aufgaben von Familienhebammen übernehmen sollen.