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Frühe Hilfen armutssensibel gestalten

In Deutschland gelten 2,9 Millionen Kinder unter 18 Jahren als armutsgefährdet, das ist mehr als jedes fünfte Kind (www. bertelsmann-stiftung.de). Die Folgen sind gravierend – für die Kinder und ihre Familien, aber auch für die Gesellschaft. Eine Expertise des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Auftrag der Diakonie zeigt, dass die gesellschaftlichen Folgekosten von Kinderarmut vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung und soziale Teilhabe viel stärker diskutiert werden müssen. Eine OECD-Studie schätzt die gesellschaftlichen Gesamtkosten durch vergangene und aktuelle Kinderarmut in Deutschland allein für das Jahr 2019 auf mehr als 100 Milliarden Euro.

Kinderarmut ist ungleich verteilt

Kinderarmut ist deutschlandweit ungleich verteilt. Während laut Bertelsmann Stif- tung in Bremen 31,9 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren staatliche Leistungen zur Grundsicherung beziehen und damit als arm gelten, sind es in Bayern 7,3 Prozent. Aber auch innerhalb der Bundesländer gibt es große Unterschiede. So liegt die Kinderarmutsquote im bayerischen Roth bei 2,7 Prozent, in der ebenfalls in Bayern gelegenen Stadt Hof hingegen leben 20,8 Prozent der Kinder in Armut. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Ungleichheit in Deutschland kommt zu dem Schluss, dass in "altindustriell geprägten Städten" die Armutsraten besonders hoch sind, 24,2 Prozent der Kinder leben hier in Armut. Aber auch in "dynamischen Städten mit erhöhter Exklusionsgefahr", wie beispielsweise Hamburg oder Berlin, gibt es eine starke soziale Polarisierung. Hier sind knapp 16 Prozent der Kinder armutsbetroffen.

Wie geht es den Familien?

Die bundesweite Repräsentativbefragung "Kinder in Deutschland" (KiD 0-3 2022) des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) liefert umfassende Daten zu psychosozialen Belastungen und Ressourcen von Familien mit kleinen Kindern sowie zur Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten. Die Studie zeigt: 10,3 Prozent der Familien beziehen Leistungen zur Grundsicherung und gelten damit als arm. Besonders häufig sind Alleinerziehende, Paare mit drei oder mehr Kindern, Familien mit Migrationshintergrund und Familien mit geringer formaler Bildung von Armut betroffen.

Die Ergebnisse der Studie KiD 0-3 2022 belegen erhebliche psychosoziale Mehrfachbelastungen bei Familien in Armutslagen. Fast jede zweite Familie in Armut weist vier oder mehr Belastungsfaktoren auf. Bei Familien ohne Armut betrifft dies nur jede sechste Familie. Deutliche Unterschiede zwischen den Familien mit und ohne Armut zeigen sich auch bei Entwicklung und Gesundheit der Kinder (siehe "Impulse aus der Forschung").

Armutssensible Frühe Hilfe

Durch ihren präventiven Ansatz sind Frühe Hilfen wichtige Anlaufstellen für Familien in Armutslagen. In ihrer Lotsenfunktion können Fachkräfte in den Frühen Hilfen armutsbetroffenen Familien weiterführende Unterstützungsangebote vermitteln. Dabei ist eine armutssensible Haltung zentral, wie sie der NZFH-Beirat in seinen Empfehlungen zu Frühen Hilfen für Familien in Armutslagen beschreibt (NZFH 2020).

Außerdem gilt es, kommunale Präventionsketten ganz im Sinne des Nationalen Aktionsplans "Neue Chancen für Kinder in Deutschland" von Bund, Ländern und Kommunen auf- und auszubauen (siehe Interview auf S. 2) und Partizipation in allen Phasen des Kontakts und der Angebotsentwicklung zu stärken. Eine dialogische Grundhaltung der Fachkräfte ermöglicht es armutsbetroffenen Eltern, Vertrauen aufzubauen, sich zu öffnen und Selbstwirksamkeit zu erfahren.