Politisch-strukturelle Verankerung: Bedeutung, Umsetzung und Diskussion
Fachlicher Impuls: Professor Dr. Jörg Fischer
Professor Dr. Jörg Fischer, Leiter des Instituts für kommunale Planung und Entwicklung der Fachhochschule Erfurt und Mitglied im erweiterten Vorstand des Beirats der Bundesstiftung Frühe Hilfen und des NZFH, gab einen fachlichen Input, wie die politisch-strukturelle Verankerung in den Frühen Hilfen gelingen könne.
Bedeutung der politisch-strukturellen Verankerung der Frühen Hilfen
Professor Dr. Jörg Fischer eröffnete seinen Vortrag mit der These: "Netzwerke Frühe Hilfen können noch so gut aufgestellt sein und erfolgreich arbeiten – ohne eine tiefe und nachhaltige Verankerung im lokalen Raum, also eine Berücksichtigung bei fachlichen Planungen oder politischen Entscheidungen, werden diese Netzwerke nicht längerfristig Bestand haben."
Ziel der politisch-strukturellen Verankerung sei es, die Frühen Hilfen als selbstverständlichen Teil der kommunalen Infrastruktur zu etablieren. Dies bedeute,
- dass Modellprojekte in Regelangebote überführt werden, die klar geregelte Übergänge haben und auf kommunaler Ebene selbstverständlich beworben werden,
- dass sich Angebote der Frühen Hilfen in kommunalen Förderplänen und Gesamtplänen widerspiegeln,
- dass Frühe Hilfen auf politischer Ebene diskutiert werden und über sie entschieden werde, zum Beispiel in Ausschüssen,
- dass Frühe Hilfen als Teil des politischen Handelns wahrgenommen werden.
Zudem sei es wichtig, dass sich die Frühen Hilfen generell in der Angebotslandschaft etablierten und von anderen Leistungsanbietern, der Politik und der Bevölkerung anerkannt würden. Eine gute politisch-strukturelle Verankerung ermögliche mehr Planungssicherheit, die Nutzung von Synergien bei der Finanzierung und ein gemeinsames Arbeiten innerhalb von Regelstrukturen. Dadurch ergebe sich eine höhere Bereitschaft der Kommunen, ihren Finanzierungsanteil zu stärken und zu sichern. Nicht zuletzt schaffe eine politisch-strukturelle Verankerung ein Bewusstsein in den Kommunen, zusammen mit den Frühen Hilfen neue kommunale Entwicklungsräume zu ermöglichen.
Umsetzung der politisch-strukturellen Verankerung
Während der Begleitung der Landkreise Hildesheim und Soest sowie der Stadt Halle (Saale) in ihrem Prozess der politisch-strukturellen Verankerung konnten vier entscheidende Beobachtungen gemacht werden, die diese beeinflussen:
- Bevor ein Netzwerk nach außen – auf fachliche Leitungen oder Politik – zugehe, brauche es eine klare Idee, was das Netzwerk ausmache und wo die Frühen Hilfen im lokalen Raum verankert seien.
- Bevor andere überzeugt werden könnten, müsse jedes Mitglied des Netzwerks überzeugt sein und wissen, wovon es rede. Es brauche eine abgestimmte Botschaft.
- Politisch-strukturelle Verankerung müsse in kleine Schritte unterteilt und diese mit einer Erfolgsidee verbunden werden.
- Es brauche im Netzwerk ein Bewusstsein dafür, dass Netzwerke Frühe Hilfen nichts von einer Kommune wollten, sondern der Politik etwas anböten.
Der Prozess mit dem Ziel einer politisch-strukturellen Verankerung sei in mehrere Schritte unterteilt, erklärte Professor Dr. Jörg Fischer weiter. Zuerst brauche es Grundlagen. Dazu gehören:
- eine intensivere Vernetzung innerhalb des Netzwerks, auch ein kritisches Hinterfragen des Netzwerks und der Netzwerkarbeit,
- die Entwicklung eines Selbstverständnisses, was das Netzwerk sei und anbiete,
- eine Diskussion im Netzwerk, was genau Politik alles umfasse, zum Beispiel Parteien, aber auch Zivilgesellschaft.
Schließlich gehe es auch um den Aufbau von Kontakten. Dabei sei es sehr wahrscheinlich, dass innerhalb des Netzwerks bereits Kontakte in die Politik bestünden, aber bisher nicht systematisch analysiert und genutzt worden seien. In einem letzten Schritt gehe es um die Identifizierung von Finanzierungsmöglichkeiten. Es sei jedoch wichtig, die Erwartungen an eine politisch-strukturelle Verankerung realistisch zu halten, da diese häufig zunächst in kleinen, aber dennoch bedeutsamen Schritten erfolgt: Wenn es letztendlich zu einer politisch-strukturellen Verankerung komme, sei diese nämlich häufig etwas Kleines, wie eine Erwähnung in einem Teilförderplan oder die Möglichkeit zur regelmäßigen Berichterstattung in einem Ausschuss.
Ein gemeinsames Aufgaben- und Handlungsverständnis, das sowohl die eigenen Leistungen als auch die eigenen Grenzen und Erwartungen an die Politik umfasst, bildet dabei die Grundlage für eine klare, nach außen kommunizierter Botschaft. Netzwerke müssten sich in ihrer Selbstwahrnehmung und in ihrem Auftreten gegenüber der Politik bewusst sein, dass sie "Angebot sein, um bestehende Probleme zu lösen. Netzwerke Frühe Hilfen machen auf Probleme aufmerksam, die sich lösen lassen."
Praxismaterialien zur Prozessbegleitung
Die entwickelten Praxismaterialien umfassen die Grundlagen für politisch-strukturelle Verankerung sowie einzelne Schritte und Maßnahmen wie die Kontaktgestaltung und Kommunikation mit der Politik, Argumente für die Frühen Hilfen und erfolgreiches Storytelling sowie die Durchführung eines politischen Abends als mögliches Kontaktformat mit Politik.
Diskussion
Die Teilnehmenden des Erfahrungsaustauschs diskutierten die Frage, wie das eigene Netzwerk für das Thema politisch-strukturelle Verankerung zu gewinnen sei. Möglichkeiten, um das Netzwerk zu motivieren, seien konkrete Anlässe, zum Beispiel der Tag der Kinderrechte, oder gelungene Beispiele von anderen Netzwerken. Professor Dr. Jörg Fischer machte als zentralen Punkt deutlich, dass die politisch-strukturelle Verankerung vom gesamten Netzwerk bearbeitet werden müsse, nicht nur von der koordinierenden Person oder einer Arbeitsgruppe. Wenn das Netzwerk nicht dahinterstehe, sei es ggf. nicht der richtige Zeitpunkt, sich mit dem Thema zu beschäftigen.
Zudem wurde besprochen, wie der Kontakt in die Politik hergestellt werden könne. Es sei wichtig, Gelegenheitsfenster zu nutzen und nicht zu warten, dass die Politik auf das Netzwerk zukomme. Netzwerke müssten eigene Erfolgsvorstellungen formulieren und sie der Politik präsentieren. Die Politik müsse Frühe Hilfen als Maßnahme zur Demokratieförderung begreifen und nicht nur die finanziellen Ausgaben sehen. Es lohne sich, in Ausschüssen dabei zu sein, um auf aktuelle politische Themen eingehen zu können und ggf. die eigenen Angebote und Botschaften anzupassen. Beispielsweise werde gerade das Thema sozialer Zusammenhalt diskutiert. Das sei ein guter Anknüpfungspunkt für die Frühen Hilfen. Das Netzwerk müsse jedoch darauf achten, sich nicht zu überfordern. Darüber hinaus brauche es innerhalb des Netzwerks eine Fehlerkultur. Politisch-strukturelle Verankerung müsse sowohl von Netzwerkseite als auch von politischer Seite gewollt sein. Wenn etwas nicht funktioniere, sei dies eine Chance für einen neuen Ansatz.
Auf die Frage, wie politisch-strukturelle Verankerung genau aussehe, gebe es keine Vorgabe. Es müsse lokal funktionieren, zum Beispiel über persönliche Kontakte. In einem ersten Schritt seien informelle Kontakte gut geeignet, in einem nächsten Schritt müsse der Kontakt mit der Politik formalisiert werden. Wichtig sei auch die richtige Person innerhalb des Netzwerks. Da einige Netzwerkkoordinatorinnen und -koordinatoren nicht direkt mit Politikerinnen und Politikern in Kontakt treten dürfen, sei es sinnvoll, dass auch andere Akteure aus dem Netzwerk die Aufgabe übernehmen, das Netzwerk politisch und strukturell zu verankern. Die Netzwerkkoordination sollte hierfür die vorhandenen Ressourcen gezielt nutzen. Auch müsse das Vorgehen im Netzwerk immer wieder hinterfragt werden. Ebenso solle darauf geachtet werden, Zuständigkeiten klar zu benennen, zum Beispiel in Bezug auf den Kinderschutz, und sich mit anderen Netzwerken abzustimmen, um ggf. Präventionsketten zu bilden. Es sei fatal, wenn Politikerinnen und Politiker bei den einzelnen Netzwerken den Überblick verlören. Insgesamt seien die Netzwerke Frühe Hilfen in ihrer politisch-strukturellen Verankerung schon weit vorangeschritten.
Publikationen
Politisch-strukturelle Verankerung vor Ort
Frühe Hilfen aktuell Ausgabe 1/2023: Politisch-strukturelle Verankerung: Investition in die Zukunft