Partizipation: Bedeutung, Umsetzung und Diskussion
Fachlicher Impuls: Judith Rieger
Judith Rieger von der Hochschule Berlin hat die Kommunen Leverkusen, Salzgitter und den Rhein-Lahn-Kreis bei der Umsetzung des Themas Partizipation begleitet und stellte die Projektergebnisse vor.
Bedeutung von Partizipation in den Frühen Hilfen
Partizipation sei ein anspruchsvolles, aber zentrales Thema in den Frühen Hilfen, erklärte Judith Rieger. Die intensive Auseinandersetzung habe in den beteiligten Kommunen dazu geführt, grundlegende Fragen zur Haltung, Machtverteilung und fachlichen Verantwortung neu zu beleuchten. Gründe für partizipatives Arbeiten seien:
- Eltern können Rückmeldung geben, ob sie ihre Kommune als familienfreundlich empfinden und welche Angebotslücken bestehen.
- Partizipation eröffne neue Perspektiven, fördere Selbstwirksamkeit und stärke die Identifikation mit Angeboten und Institutionen.
- Die Perspektivenvielfalt durch Eltern führe zu innovativeren, wirksameren Angeboten.
- Eltern erleben sich im Sinne der Demokratiebildung als aktiv gestaltend, vernetzt, gesehen und ernst genommen.
Insgesamt sollten "Eltern als Informationsquelle nicht unterschätzt werden!", betonte Judith Rieger.
Außerdem benötige gelingende Partizipation Fachkräfte mit entsprechender offener Haltung und der Bereitschaft, Verantwortung zu teilen. Neben methodischem Wissen seien auch Kompetenzen im Umgang mit Machtverhältnissen und Vielfalt notwendig. Wichtig sei zudem die Rückendeckung durch die Leitungsebene und die stetige Entwicklung einer organisationalen Partizipationskultur. Denn ohne klare Unterstützung bleibt Partizipation oft auf individuelles Engagement beschränkt.
Ebenso brauche es Zeit, Ressourcen und strukturelle Verankerung – etwa durch feste Gremien oder abgestimmte Verfahren. Die Expertin betonte: "Die Verantwortung für das Gelingen von Partizipation kann nie allein auf den Schultern der Netzwerkkoordinierenden liegen – es ist immer ein gemeinschaftlicher Prozess!"
Umsetzung von Partizipation
Karin Papenfuß und Jonas Blankenagel vom NZFH, BIÖG stellten die aus den kommunalen Erfahrungen entwickelten Prozessschritte vor:
- Gemeinsames Verständnis schaffen
- Aktuellen Stand und Identifikation von Weiterentwicklungspotenzialen erfassen
- Zielbestimmung
- Maßnahmenentwicklung und -Umsetzung
- Evaluation und Anpassung
Praxismaterialien zur Prozessbegleitung
Die entwickelten Praxismaterialien zum Schwerpunkt Partizipation bestehen aus 11 Modulen, die aufeinander aufbauen und Sicherheit in den einzelnen Prozessschritten bieten. Detailliert wurde die von Judith Rieger entwickelte Werteliste vorgestellt, welche bei allen drei beteiligten Kommunen im eigenen Prozess zur Anwendung kam. Die Werte von Partizipation seien in allen drei Netzwerken intensiv diskutiert worden und die Auseinandersetzung damit als besonders hilfreich erlebt worden – sowohl zur Klärung der Haltung im Team als auch zur Förderung der Zusammenarbeit im Netzwerk.
Diskussion
Die Teilnehmenden interessierte insbesondere, wann der richtige Zeitpunkt zur Einbindung der Familien sei. Bei der Expertin und den Kommunen herrschte Einigkeit, dass es dabei immer auf die individuellen Gegebenheiten des Netzwerkes ankommt. Eltern sollten erst eingebunden werden, wenn das Netzwerk seine klare Haltung zur Partizipation gefunden habe, also beispielsweise, den Prozess bereits einmal komplett durchlaufen habe: "Erst Klarheit im Netzwerk – dann mit Eltern gemeinsam weiterarbeiten!".
Zudem wurde diskutiert, wie Partizipations-Barrieren für Eltern abgebaut werden könnten und alle Familien besser erreicht werden könnten. Von Seiten der Expertin und aus den Erfahrungen der Kommunen wurde empfohlen, dass "die Beziehungsarbeit Grundlage für Partizipation ist". Fachkräfte müssen Räume betreten und öffnen, in denen sich die Familien aufhalten: Einrichtungen, Spielplätze, Veranstaltungen und sich dabei als Lernende verstehen. Es gehe um Zuhören ohne vorgefertigte Lösungen und Kommunikation auf Augenhöhe. Als weiterer Tipp wurde genannt, Vertrauenspersonen aus der "Community" anzusprechen und einzubinden, um darüber Kontakte herzustellen. Auch sei es hilfreich, sich an der Partizipationspyramide und den verschiedenen Ebenen zur Partizipation zu orientieren.
Partizipation sei eine Herausforderung, aber auch große Chance für das Netzwerk, sind sich alle einig. Der Prozess ermögliche, alle Ebenen und Perspektiven mitzudenken, eine gemeinsame klare Haltung und Wertebasis zu entwickeln, und Machtfragen zu klären. "Partizipation bedeute immer auch: sich Zeit nehmen, Unsicherheiten aushalten und sich selbst und Prozesse reflektieren."