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Strukturelle Voraussetzungen für den professionellen Umgang mit Handlungsunsicherheiten

Impulsvortrag

Christine Gerber, Leiterin des Projektbereiches "Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen" im NZFH, DJI

Christine Gerber sprach in ihrem Vortrag über strukturelle Voraussetzungen für den professionellen Umgang mit Handlungsunsicherheiten.

Zunächst benannte Frau Gerber potentielle Auslöser für die Handlungsunsicherheiten. Dies sei neben der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe im Gesetz auch die programmatische Diskussion der Abgrenzung der Frühen Hilfen vom Kinderschutz: "Die programmatische Diskussion mit der Überschrift »Frühe Hilfen sind nicht zuständig für den intervenierenden Kinderschutz« verunsichert Fachkräfte in der Praxis, wenn sich im Laufe der Arbeit mit den Familien Hinweise ergeben, dass das Wohl des Kindes möglicherweise gefährdet ist", formulierte Gerber ihre Hypothese. Außerdem gäbe es immer wieder Unsicherheiten bezüglich der Vermittlung weiterführender Hilfen sowie der Erfüllung des Schutzauftrages der Frühen Hilfen gem. §4KKG. Frau Gerber benannte auch die Angst einen Fehler zu machen oder die Sorge, strafrechtlich verfolgt zu werden, als Auslöser für Handlungsunsicherheit. Darüber hinaus beschäftigte die Gesundheitsfachkräfte die Sorge, durch das Ansprechen schwieriger Themen den guten Kontakt zu den Familien zu verlieren.

"Nicht in jeder Familie, in der eine Fachkraft der Frühen Hilfen sagt: ‚Hier komme ich an meine Grenzen‘, ist das Kind automatisch gefährdet", so Gerber weiter. In solchen Fällen gehe es meistens  darum, den Familien einen niedrigschwelligen Zugang zu weiteren Hilfsangeboten über die Frühen Hilfen zu ermöglichen. Dies sei ein wichtiges und im Sinne präventiver Hilfe sinnvolles Prinzip der Frühen Hilfen.

Zugleich gäbe es jedoch auch Fälle, in denen zumindest die Sorge oder der Verdacht besteht, dass die Belastungen der Familie und die Einschränkungen der fürsorgerischen Fähigkeiten der Eltern so groß sind, dass das Wohl des Kindes gefährdet ist. In diesen Fällen sei es meist sehr schwer, absolute Handlungssicherheit zu erlangen, so Christine Gerber weiter. Unsicherheit sei allein aufgrund des stets begrenzten Wissens über die Familie und die einzelnen Akteure ein immanenter Bestandteil der Arbeit im Kinderschutz. Wichtig sei, sich dessen bewusst zu sein und professionell damit umzugehen. Das Bewusstsein, dass die familiäre Situation auch ganz anders sein kann, als sie aktuell erscheint, könne für neue und widersprüchliche Informationen sensibilisieren und dazu beitragen, dass Einschätzungen regelmäßig reflektiert werden.

Bezogen auf die strukturellen Voraussetzungen für den Umgang mit Handlungsunsicherheit unterschied Christine Gerber zwischen den Rahmenbedingungen in den Frühen Hilfen und in der Kooperation mit anderen Einrichtungen und Professionen. Im Bereich der Frühen Hilfen sei es bei Unsicherheiten wichtig, kurzfristig, qualifizierte Fachberatung und Unterstützung zu erhalten, z.B. in Rahmen einer kollegialen Beratung oder Supervision. Für den Umgang mit Handlungsunsicherheit in komplexeren Hilfenetzen brauche es vor allem Absprachen über die Rollen und Aufträge der einzelnen Akteure sowie Klarheit über die Ziele in der Arbeit mit der Familie und die Ausgestaltung der Zusammenarbeit. Außerdem sollte ein offener Umgang mit Konflikten und unterschiedlichen Einschätzungen gefördert werden, indem zum Beispiel eine neutrale Konfliktmoderation bereitgestellt oder die Möglichkeit einer  gemeinsamen Supervision geschaffen werden.

Abschließend betonte Christine Gerber, dass es wichtig sei, Unsicherheit als Bestandteil der eigenen Arbeit und Professionalität zu akzeptieren, denn: "Sicherheit ist nicht immer ein Zeichen von Professionalität, sondern unter Umständen ein Zeichen von Selbstüberschätzung."

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