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Mut, der eigenen Stimme zu trauen

Christiane Knoop war 30 Jahre als Familienhebamme in Bremen aktiv. Seit 2010 ist sie in als Leiterin der Weiterbildung von Familienhebammen und Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und -pflegern (FGKiKP) tätig. Auszüge des Interviews sind im November 2018 veröffentlichten Infodienst FRÜHE HILFEN aktuell abgedruckt.

Frau Knoop, stoßen Familienhebammen in den Frühen Hilfen häufig an Grenzen und müssen über weiterführende Hilfen nachdenken?

Das hängt im Wesentlichen von dem Rahmen ab, in dem sie tätig werden und sind. Die versuchte Unterteilung in Frühe Hilfen versus Kinderschutz sind menschengemacht. Meistens arbeiten die Fachkräfte in Niedersachsen „gemischt“: In den Frühen Hilfen, aber auch im Kinderschutz. Wir wissen alle, wie schnell Überforderungssituationen zu Konflikten und Krisen führen können, und wenn sie eskalieren, auch zu Kindeswohlgefährdung und Vernachlässigung. Es ist deshalb so wichtig, dass der Rahmen und das Setting, in dem die Fachkräfte Frühe Hilfen arbeiten, stimmen. Also eine Koordinatorin, die für die Fachkräfte erreichbar ist, wo es möglich ist, die Arbeit in der Familie vorzustellen, kollegiale Beratung zu erhalten. Und dass die Schnittstelle zum Jugendamt klar und transparent ist und auch da die Ansprechpartner erreichbar und an Zusammenarbeit interessiert sind.

Welche Rolle spielt das Thema Grenzen/Schnittstellen bei den Auszubildenden?

Dieses Thema ist ein Fundament der Weiterbildung. Es wird schon gleich zu Beginn in den Fragen der Teilnehmenden deutlich: Übersehe ich nichts? Bin ich der Aufgabe gewachsen? Und wenn sie bislang eher nur in der Klinik gearbeitet haben, also im Team und nie allein auf sich gestellt, dann sind die Anforderungen der aufsuchenden Hilfe ganz andere. Zu Gast sein in den Wohnungen der Familien, Ressourcen statt defizitärer Probleme zu sehen. In der Klinik gibt es Symptome, Diagnose und Therapie, an der Krankheit orientiert. In den Familien soll es um lösungsorientierte Beratung gehen; darum, dass Familien selbst Lösungen entwickeln und darum, dass nicht die Helferin weiß, wie es geht. Das ist schon die erste Grenze in dieser Arbeit. Sich selbst zurück zu nehmen, einen vielleicht langsamen Prozess der Veränderung zu begleiten, Anregungen zu geben, Wahrgenommenes zu spiegeln. Und dann geht es um Grenzen setzen, etwa in der zeitlichen Verfügbarkeit für die Klienten. Zu erkennen, wen gibt es noch außer mir. „Nein“ sagen zu lernen und Grenzen aufzuzeigen, wenn das Verhalten der Eltern ihrem Kind gegenüber nicht angemessen ist. Also auch Grenzen aufzuzeigen, die den Eltern klar machen: Hier braucht es eine Veränderung des Umgangs mit dem Kind; nachzufragen, authentisch zu sein. In schwierigen Situationen mit der Familie Mut zu haben oder zu entwickeln.

Und dann natürlich die verschiedenen Schnittstellen zu anderen Kooperationspartnern: um Netzwerke und um die Tätigkeitsbereiche zu wissen, die anderen in der Familie eingesetzten Helfern vorbehalten sind; genau um Helferfallen und Stolpersteinen in der Kommunikation mit anderen Professionellen und um die eigene Belastbarkeit und Grenzen zu wissen; professionell Nähe und Distanz mit den Familien einzugehen und auch in der Lage zu sein, eigenes Verhalten zu reflektieren.

Zwischen familiären Belastungen und Gefährdungslagen für das Wohl eines Kindes zu unterscheiden, kann schwer sein. Was brauchen Fachkräfte, um an Grenzen souverän und sicher handeln zu können?

Fachwissen, Intuition, ein bekanntes Netz von anderen Unterstützungsmöglichkeiten und Hilfsangeboten. Und ein gutes Team und eine erreichbare Koordinatorin oder Jugendamtsmitarbeiter. Mut, der eigenen Stimme zu trauen und die Eltern in Überlegungen und Sorgen einzubeziehen. Sich selbst trauen und zutrauen, die Situation zu meistern. Dafür muss man die Wege kennen, die bei 8a-Meldungen zu gehen sind. Und Unterstützung durch das Team, die Koordinatoren und das Jugendamt.

Was sind die größten Sorgen und Unsicherheiten, die die Fachkräfte in solchen Fällen beschäftigen?

Die Angst, etwas falsch zu machen, etwas zu übersehen, haftbar gemacht zu werden, keine gute Arbeit geleistet zu haben. Auch, dass die Hilfe enden könnte in den Familien und sonst niemand anders „drin ist“. • Die Vermittlung und Einleitung weiterführender Hilfe läuft häufig über das Jugendamt – wie erleben Sie die Kooperation in diesen Fällen? Auch das hängt sehr von gelingender Zusammenarbeit ab: Transparenz, Aufgabenklarheit, gute Erreichbarkeit; gutes Fallmanagement durch das Jugendamt, gleicher Wissensstand unter den Kooperationspartnern. Wenn all das vorhanden ist, wird es zu einem gelingenden Einsatz der Fachkräfte in Familien beitragen. Es wird schwierig bei einer ungenauen und vagen Auftragserteilung an die Fachkräfte und wenn nicht alle in der Familie tätigen Helfer an Absprachen, Koordination und Weitergabe von Informationen beteiligt sind. Wenn die Kooperationspartner nicht erreichbar sind.

Haben Sie den Eindruck, dass die Beratung durch insoweit erfahrene Fachkräfte inzwischen ausreichend etabliert ist?

Dazu kann ich aus meiner Position als Weiterbildungsleitung eher wenig sagen. Wenn die Teilnehmerinnen noch ganz unerfahren sind, haben sie keinen Kontakt zu den Fachkräften. Und wenn Teilnehmerinnen gut eingebunden sind in ihr Team, erfahren sie viel Unterstützung und kollegiale Beratung durch die Koordinatorinnen.

Funktionieren die Strukturen und die Vernetzung mit weiterführenden Hilfen, falls erforderlich?

Das ist kommunal sehr unterschiedlich und abhängig davon, wie viel Zeit den Kooperationsbezügen überlassen ist. Die Pflege der Kooperation ist oft genauso aufwendig wie die Arbeit mit und in den Familien selbst.

Wo sehen Sie den größten Bedarf, um Fachkräfte zu unterstützen, wenn sie an ihre Grenzen kommen?

Also erstens natürlich eine gute Weiterbildung (mit einem hohen Präsenzanteil von Stunden), die auf solche Situationen vorbereiten kann, durch Vermittlung von Wissen, das in den grundständigen Berufen wenig oder gar keine Bedeutung hatte: Themen wie Kommunikation – verbale, nonverbale und in schwierigen Situationen –, Konflikttheorien, Deeskalation, Umgang mit Gewalt, systemische Betrachtungsweisen von Familien und auch Helferorganisationen. Selbstfürsorge und Selbstreflexion sind wichtige Elemente in dieser Arbeit. Zeitmanagement erleichtert die eigene Arbeit. Aber all das muss erst erworben werden und steht der Arbeit in den Ursprungsberufen oft diametral gegenüber. Die 270 Stunden in der zertifizierten Fortbildung oder gar auch die 400 Stunden in der staatlichen Weiterbildung sind bei weitem nicht genug, für diese anspruchsvolle Arbeit auszubilden. Es bedarf weiterer Fortbildungsangebote, regelmäßiger Supervision und guter „Teampflege“, um die Arbeit in den Familien gut gerüstet tun zu können.

Infodienst FRÜHE HILFEN aktuell