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Verbesserung der Personalsituation im ASD

Am 11. Oktober 2024 fand das siebte "Fachgespräch im Kinderschutz" statt. Rund 60 geladene Expertinnen und Experten nahmen an der Online-Veranstaltung des NZFH teil. Sie diskutierten über die Personalsituation im Kinderschutz, über Herausforderungen und Zukunftsperspektiven.

Das Fachgespräch des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) fand unter dem vollständigen Titel "Ansätze und Strategien zur Verbesserung der Personalsituation im Allgemeinen Sozialen Dienst" statt. Inhaltlich verantwortlich waren die Fachgruppe "Frühe Hilfen" des NZFH im Deutschen Jugendinstitut (DJI) mit dem Projekt Qualitätsentwicklung im Kinderschutz sowie die Fachgruppe "Familienhilfe und Kinderschutz" im DJI.

Die eingeladenen Expertinnen und Experten kamen aus Jugendämtern, von freien Trägern, Verbänden und Fachgesellschaften, der Verwaltung auf Landes- und Bundesebene und der Wissenschaft.

Ziel des Fachgesprächs war es, auf der Grundlage von empirischen Forschungsergebnissen Strategien und Handlungsansätze zu diskutieren, die die Personalsituation im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) entlasten und somit zur Qualitätsentwicklung im Kinderschutz beitragen können.

Hintergrund

Die öffentlichen Träger stehen nach §79 SGB VIII in der Verantwortung, die Angebote und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in ausreichender Form zur Verfügung zu stellen. Dies gilt auch für das dafür erforderliche Personal in den Jugendämtern. Das Personal in den ASD der Jugendämter hat in den vergangenen Jahren einen deutlichen Zuwachs erhalten. Gleichzeitig sind die Arbeitsanforderungen an Kinderschutzfachkräfte aber gestiegen. Das bestätigt auch eine Befragung des DJI in Kooperation mit dem NZFH aus den Jahren 2018 und 2019 in Baden-Württemberg: Von über 1.400 Mitarbeitenden nahmen knapp 80 Prozent der Fachkräfte in den letzten drei Jahren einen zunehmenden Arbeitsaufwand wahr. Die Gründe dafür sahen Fachkräfte insbesondere im gestiegenen bürokratischen Aufwand und in einer Zunahme der Komplexität der Fälle.

Die hohe Arbeitsbelastung gepaart mit der großen Verantwortung im Kinderschutz macht es den Ämtern schwer, Fachkräfte langfristig zu halten. Eine Zunahme an Fluktuation des Personals geht mit einem wachsenden Anteil an Berufseinsteigerinnen und -einsteigern unter den Fachkräften einher. Gleichzeitig erreichen erfahrene Fachkräfte zunehmend das Rentenalter.

Weitere Erkenntnisse zum Thema liegen aus dem Projektbereich Qualitätsentwicklung im Kinderschutz des NZFH und dem Projekt "Fallanalysen im jugendamtlichen Kinderschutz Nordrhein-Westfalen" unter Beteiligung des DJI vor. Die Fallanalysen verdeutlichen, wie sich die personellen Entwicklungen auf die Fehlerrisiken im Kinderschutz auswirken. Zu den zentralen Ergebnissen zählt, dass es Fachkräften an zeitlichen Ressourcen für die Fallbearbeitung fehlt. Darüber hinaus erschweren die häufigen personellen Wechsel innerhalb des ASD eine kontinuierliche Fallbearbeitung sowie den Beziehungsaufbau zu den Klientinnen und Klienten.

Auch Kooperationspartner des ASD, wie die freien Träger, sind von Personalfluktuation und Personalnot betroffen. Dies hat Auswirkungen auf den Kinderschutz, wenn beispielsweise aufgrund mangelnder personeller Ressourcen Angebote nur begrenzt zur Verfügung stehen und Hilfen für Familien nicht immer zeit- sowie bedarfsgerecht umgesetzt werden können.

Begrüßung

Professorin Dr. Sabine Walper, Mechthild Paul und Madeleine Schrade haben das Fachgespräch eröffnet: 

  • Professorin Dr. Sabine Walper ist Vorstandvorsitzende und Direktorin des DJI. 
  • Mechthild Paul leitet die Abteilung Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Seit dem 13. Februar 2025 hat die BZgA einen neuen Namen: Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG). Das Bundesinstitut ist Träger des NZFH in Kooperation mit dem DJI.
  • Madeleine Schrade ist Referentin im Referat Kinderschutz, Prävention, sexueller Gewalt, Bundesstiftung Frühe Hilfen im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Seit dem 7. Mai 2025 heißt das Ministerium Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ).

Erkenntnisse der Fallanalysen zur Personalsituation im Kinderschutz

Den Einstieg in den inhaltlichen Teil der Veranstaltung übernahm Teresa Schlossbach, wissenschaftliche Referentin im Projekt Qualitätsentwicklung im Kinderschutz im NZFH, DJI. Sie stellte aktuelle empirische Erkenntnisse zur Personalsituation in den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) der Jugendämter sowie Ergebnisse der NZFH-Fallanalysen vor. Diese verdeutlichen, dass Fachkräfte aufgrund mangelnder zeitlicher, personeller und infrastruktureller Ressourcen ihre direkte Fallarbeit sowie ihre Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern beeinträchtigt sehen.

Im Anschluss stellte Dr. Susanne Witte, Co-Leitung der Fachgruppe "Familienhilfe und Kinderschutz" am DJI, Ergebnisse der Qualitätsentwicklungsverfahren in den Jugendämtern in Nordrhein-Westfalen vor. Sie legte den Fokus auf die Dynamiken, die mit Personalmangel einhergehen. Dazu zählt zum Beispiel, dass eine Fluktuation von Fachkräften eine weitere Abwanderung von Mitarbeitenden erzeugt. Abschließend ging Frau Dr. Witte auf Good-Practice-Beispiele ein. Auch zeigte sie Zusammenhänge mit Qualitätsindikatoren im Kinderschutz und der Einschätzung der Personalsituation durch die Fachkräfte auf.

Empirische Ergebnisse zur Förderung der Stressbewältigung von Fachkräften

Professor Dr. Harald Gündel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm, beschäftigte sich mit der Frage, welche Faktoren im Arbeitsumfeld die Gesundheit der Mitarbeitenden beeinflussen können – beeinträchtigen, aber auch fördern. Neben Arbeitsbedingungen thematisierte er auch die Bedeutung von Selbststeuerung, vom Team und der Organisationskultur als Einflussfaktoren in Bezug auf die Gesundheit von Mitarbeitenden.

Professor Gündel stellte hierzu unter anderem Ergebnisse aus zwei Forschungsprojekte unter Beteiligung des Universitätsklinikum Ulm vor. Beide zielen auf eine Stärkung der Gesundheit ab. Das Stressmanagementtraining "KMU-GO" richtet sich an Führungskräfte, das Programm "Frühe Intervention am Arbeitsplatz – friaa" an psychisch belastete Mitarbeitende.

Fachkräfte mit ausländischen Abschlüssen als Personalressource für den ASD

Professor Dr. Burghard Pimmer-Jüsten von der Katholischen Stiftungshochschule in München (KSH) stellte das Internationale Brückenseminar Soziale Arbeit Bayern vor. Das Ziel dieses Lehrgangs der KSH ist es, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen mit ausländischen Abschlüssen eine "Brücke" zur Anerkennung ihrer Studienqualifikation bereitzustellen. Professor Pimmer-Jüsten präsentierte abschließend Empfehlungen dazu, welche Rahmenbedingungen gegeben sein sollten, damit der Übergang von Absolvierenden des Anpassungslehrgangs in den deutschen Arbeitsmarkt der Kinder- und Jugendhilfe besser gelingen kann.

Professor Dr. Pimmer-Jüsten

Website der KSH München: Internationales Brückenseminar Soziale Arbeit Bayern (IBS)

Im Anschluss gab Professorin Dr. Christina Plafky von der Berner Fachhochschule Einblicke in ihre persönlichen Erfahrungen als ausländische Fachkraft. Im Rahmen ihres internationalen Bildungs- und Berufsweges und ihrer Tätigkeit als Sozialarbeiterin konnte sie verschiedene Kinderschutzsysteme kennenlernen. Professorin Plafky vermittelte in ihrem Impulsreferat Chancen und Herausforderungen im Prozess der Integration von Fachkräften mit ausländischen Qualifikationen. Sie sprach sich dafür aus, die Rekrutierungsprozesse ausländischer Fachkräfte für den Kinderschutz weiterzuentwickeln.

Arbeitserleichterung durch Digitalisierung im Kinderschutz

Abschließend befasste sich Professor Dr. Thomas Ley von der Hochschule Osnabrück mit dem Thema Digitalisierung im Kinderschutz. Im Fokus stand die Frage, welchen Beitrag die Digitalisierung für die Qualitätsentwicklung und die Arbeitserleichterung im ASD leisten kann. Zunächst gab er einen Einblick, in welchen Bereichen im ASD der Einsatz von IT möglich ist. Anhand empirischer Daten verdeutlichte er, dass insbesondere bei der Falldokumentation auf die Nutzung von IT-Software zurückgegriffen wird. Abschließend stellte Professor Ley "Zukunftsszenarien des informatisierten Kinderschutzes" vor.

Zentrale Themen, Praxisbeispiele und Ergebnisse für die Weiterentwicklung der Personalsituation und der Qualität im Kinderschutz

Im Laufe des Fachgesprächs gab es für die Expertinnen und Experten viele Gelegenheiten, Strategien und Handlungsansätze zur Weiterentwicklung der Personalsituation und der Qualität im ASD zu diskutieren: Im Anschluss an die einzelnen Impulsreferate, in Breakout-Sessions und anschließend im Plenum.

Fünf Themenbereiche standen im Fokus:

Wie kann die Digitalisierung Fachkräfte im Kinderschutz entlasten? Welche Anforderungen müssen KI-gestützte Instrumente erfüllen und wie kann die Implementierung gelingen? Die Expertinnen und Experten im Fachgespräch haben Ideen und Antworten diskutiert.

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Um Jugendämter als Arbeitgeber bekannt und attraktiv zu machen, erhalten Kommunen Unterstützung von der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) der Landesjugendämter. Wie sieht die Unterstützung aus? Was ist noch zu beachten, um öffentlichkeitswirksam für den ASD als Arbeitsbereich zu werben?

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Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stellt für viele Fachkräfte im Kinderschutz eine große Herausforderung dar. Um Fachkräfte langfristig im Beruf zu halten, ist es wichtig, das Arbeitsumfeld familienfreundlich zu gestalten.

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Wie kann es gelingen, Fachkräfte mit ausländischen Abschlüssen als Personalressource für den ASD zu gewinnen? Was leisten "Brückenseminare"? Die Teilnehmenden diskutierten Chancen, Herausforderungen und Lösungsansätze.

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Eine Reduzierung der Arbeitsbelastung im ASD kann die Gesundheit und die Zufriedenheit von Mitarbeitenden fördern. Die Fachkräfte tauschten sich unter anderem über die Etablierung von Spezialdiensten im Kinderschutz als Lösungsmöglichkeit aus.

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Fazit

Gut qualifizierte Fachkräfte, die über ausreichend Zeit für die Arbeit mit Familien im Kinderschutz verfügen, bilden das Fundament im Kinderschutz in Deutschland. Dieses Fundament ist aktuell gefährdet. Immer mehr Jugendämter berichten von Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden und zu halten.

Im Rahmen des siebten Fachgesprächs wurden verschiedene Strategien zur Gewinnung, Bindung und Entlastung von Fachkräften vorgestellt. Darüber hinaus diskutierten die Teilnehmenden die damit verbundenen Chancen, zum Beispiel durch Öffentlichkeitsarbeit und Gewinnung ausländischer Fachkräfte, und Herausforderungen, wie Anforderungen an KI-gestützte Instrumente zur Arbeitsentlastung.

Auch das Spannungsfeld zwischen knappen zeitlichen und personellen Ressourcen im Arbeitsalltag und dem Wunsch nach Weiterentwicklung im Kinderschutz war Thema. Inwiefern kann und muss eine Weiterentwicklung der Qualität im Kinderschutz auch in personell herausfordernden Zeiten stattfinden?

Die geladenen Expertinnen und Experten waren sich jedoch einig, dass das Senken der fachlichen Standards im Hinblick auf das Anwerben und das Halten von Fachkräften eher kritisch gesehen werden muss. Schließlich machen fachliche Anerkennung, gute Reputation und Erfolge ein Arbeitsfeld reizvoll und tragen wesentlich zur langfristigen Arbeitszufriedenheit bei. Dazu zählt auch die Bereitstellung von Räumen für Reflexion und Weiterentwicklung.

Am Ende steht fest, dass die Ergebnisse des Fachgesprächs aus dem Jahr 2020 unter dem Titel Fit für den Kinderschutz – Anforderungen an Ausbildung, Einarbeitung und Fortbildung auch für die aktuelle Debatte über Fachkräftemangel relevant sind.

Praxismaterial und Literatur

Passend zum Fachgespräch haben die Veranstaltenden Veröffentlichungen und Materialien zum Thema zusammengetragen (Stand Februar 2025). Die Zusammenstellung soll eine Recherche sowie den Zugang zu bestehenden Empfehlungen und Materialien zum Thema erleichtern.

Die Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und wird nicht aktualisiert.