ZuFa-Monitoring Geburtsklinik: Präsentation aktueller Befunde

Am 9. September 2025 hat das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in einer Online-Konferenz erste Forschungsergebnisse des ZuFa-Monitorings Geburtsklinik 2024 vorgestellt. Im Fokus standen Ergebnisse zu Belastungslagen von Familien rund um die Geburt und zu Lotsendiensten in Geburtskliniken.
Über 300 Akteure aus Wissenschaft und Praxis sind der Einladung des NZFH gefolgt, die Befunde der bundesweiten, repräsentativen Befragung in Geburtskliniken mit einzuordnen und zu diskutieren.
Gemeinsam mit dem Deutschen Krankenhausinstitut (DKI) hat das NZFH die Studie durchgeführt. Ziel des ZuFa-Monitorings Geburts- und Kinderkliniken 2024 ist es, die Zusammenarbeit zwischen stationärer Versorgung rund um die Geburt mit den Frühen Hilfen zu evaluieren und systematisch zu erfassen.
Inhaltlicher Einstieg: Frühe Hilfen und Lotsendienste
Mechthild Paul, stellvertretende Leitung des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG), leitete die Veranstaltung inhaltlich ein. Sie blickte zurück auf die Entwicklung der Frühen Hilfen und betonte den hohen Stellenwert von Lotsendiensten in Geburtskliniken für die Frühen Hilfen: "Durch den Kontakt von Lotsendiensten in Geburtskliniken zu Familien rund um die Geburt lag es auf der Hand, dass die Frühen Hilfen mit Geburtskliniken zusammenarbeiten und Lotsendienste unterstützen."
Sie skizzierte auf Grundlage von Forschungsergebnissen, dass sich die Zusammenarbeit von Frühen Hilfen und Geburtskliniken auch für Klinken lohne: Prävention würde gestärkt und Mitarbeitende in Geburtskliniken entlastet.
Allerdings reichten die derzeitig zur Verfügung stehenden Mittel der Bundesstiftung nicht aus, um Lotsendienste flächendeckend aufzubauen. Sie appellierte daran, sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dass der flächendeckende Ausbau auf die politische Agenda komme.
Zentrale Studienergebnisse rund um Lotsendienste
In drei kurzen Impulsvorträgen fassten Jörg Backes, Dr. Maria Hänelt und Dr. Petra Steffen zentrale Informationen und erste Ergebnisse des ZuFa-Monitorings Geburtsklinik 2024 zusammen. Die Erkenntnisse aus Sicht von Mitarbeitenden in Geburtskliniken ergänzte Dr. Sönke Siefert anschließend um Studienergebnisse aus der Perspektive der Eltern.
Frühe Hilfen und ZuFa-Monitoring Geburtsklinik 2024
Jörg Backes, Leiter des NZFH, stellte Ziele, Design und Methodik des ZuFa-Monitoring-Zyklus "Zusammen für Familien" vor.
Im ZuFa-Monitoring Geburtsklinik 2024 wurden alle Geburtskliniken in Deutschland mit mehr als 300 Geburten pro Jahr angefragt.
256 Fragebögen sind eingegangen und wurden vom Deutschen Krankenhausinstitut (DKI) im Auftrag des NZFH ausgewertet.
Familiale Belastungen in der Geburtsklinik
Dr. Maria Hänelt, NZFH, BIÖG, fasste zentrale Ergebnisse zu psychosozialen Belastungen von Familien aus Sicht des Klinikpersonals zusammen:
- Mitarbeitende in Geburtskliniken trauen sich zu, verschiedene familiale Belastungen zu identifizieren.
- Die große Mehrheit nimmt eine Zunahme familialer Belastungen wahr.
- Vor allem Verständigungsschwierigkeiten und mentale Belastungen der Eltern sind gestiegen.
- Die Mitarbeitenden nehmen auch einen Anstieg der Gesamtbelastungen wahr, die die gesunde weitere Entwicklung der Kinder beeinträchtigen können.
- Bei wahrgenommenen Belastungen ist eine Übermittlung in Unterstützungsangebote (meist) möglich.
- Die Fachkräfte beschreiben Lotsendienste als einen "Gewinn" für junge Familien.
Lotsendienste in Geburtskliniken
Dr. Petra Steffen, Geschäftsbereich Forschung im Deutschen Krankenhausinstitut (DKI), stellte zentrale Ergebnisse zur Verbreitung und Wirkung von Lotsendiensten vor:
- Lotsendienste haben sich seit 2017 weiter etabliert. Die Entwicklung passt zum steigenden Bedarf.
- Bei der Umsetzung zeigt sich eine große Vielfalt und Heterogenität.
- Lotsendienste sind vielfach strukturell-konzeptuell organisiert, wobei es aber noch Optimierungspotenzial gibt.
- Lotsendienste entlasten Mitarbeitende in Geburtskliniken und verbessern ihre Zufriedenheit.
- Sie verbessern die klinikinterne Zusammenarbeit sowie die Zusammenarbeit mit externen Einrichtungen.
Was sagen die Eltern?
Dr. Sönke Siefert, Geschäftsführung der Stiftung SeeYou, ergänzte in seinem Vortrag die Perspektive der Eltern auf Grundlage zweier Studien (Kantar-Erhebung und KID PROTEKT).
- Gespräche mit Babylotsinnen werden von den meisten Müttern als (sehr) hilfreich beschrieben, insbesondere bei Erstgebärenden.
- Mütter schätzen Akzeptanz und Machbarkeit von Lotsendiensten in ärztlichen Praxen (Pädiatrie und Gynäkologie) insgesamt sehr gut ein.
- Verbesserungsbedarf besteht beispielsweise bei Aufklärung und Informationsangeboten in niedergelassenen Praxen.
- Eltern sollten in Studiengestaltung und Umsetzung einbezogen werden. Partizipation von Eltern verbessert Praxisnähe und Wirksamkeit.
Zentrale Ergebnisse der Breakout-Sessions
In den anschließenden Breakout-Sessions hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit, die vorgestellten Ergebnisse zu diskutieren und eigene Erfahrungen einzubringen.
Es wurden strukturelle Hürden beim Ausbau von Lotsendiensten, wie zum Beispiel Schließungen von Geburtskliniken, Überlastung der Mitarbeitenden sowie unklare Finanzierungsoptionen bei der Implementierung besprochen.
Praktische Herausforderungen, aber auch Gelingensbedingungen bei der Etablierung und Umsetzung eines Lotsendienstes bildeten einen weiteren Schwerpunkt der Diskussion.
Auch die Situation der Familien bewegte die Teilnehmenden: Die Fachkräfte schilderten eine zunehmende Belastung der Familien und damit einhergehende Herausforderungen für die Mitarbeitenden und bestätigten die zuvor vorgestellten Forschungsergebnisse.
Die Fachkräfte aus der Praxis bestätigten die Forschungsergebnisse und den Anstieg von familialen Belastungslagen. Entsprechend der ZuFa-Ergebnisse sahen sie eine Zunahme bei psychischen Belastungen, Sprachbarrieren und wachsender Verunsicherung in Bezug auf die Elternschaft.
Sie bestätigten auch, dass strukturelle Probleme die Situation gleichzeitig verschärfen, zum Beispiel durch
- die Schließung von Geburtskliniken und damit einhergehend unklare Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten,
- fehlende Kapazitäten in Unterstützungsangeboten,
- unzureichende Weiterleitung in die Frühen Hilfen.
Besonders betroffen sind nach Einschätzung der Teilnehmenden ländliche Regionen, in denen passende Angebote fehlen oder schwer erreichbar sind.
Im Austausch über praktische Erfahrungen trugen die Teilnehmenden gute Beispiele zusammen, zum Beispiel
- den Einsatz von Screening-Bögen,
- Selbstbeurteilungsbögen für Wochenbettdepressionen,
- enge Zusammenarbeit mit Neonatologie,
- die frühe Einbindung der Lotsinnen und Lotsen und ihre Präsenz bei Arztgesprächen.
Mit Blick auf den Umgang mit Sprachbarrieren wurden drei unterschiedliche Lösungswege angesprochen:
- interne Dolmetsch-Möglichkeiten, zum Beispiel mit Listen von Klinikmitarbeitenden, die verschiedene Sprachen sprechen,
- digitale Übersetzungstools,
- neutrale externe Dolmetsch-Dienste, wie das Telefon-Dolmetsch-Angebot des NZFH.
Die Teilnehmenden bestätigten, dass die vorgestellten Daten zur Arbeit der Lotsendienste die Realität gut abbilden. Als besonders große Probleme sahen sie dabei insbesondere
- die unsichere Finanzierung von Lotsendiensten,
- den Fachkräftemangel und fehlende Kapazitäten bei passenden Angeboten,
- fehlende weiterführende Angebote.
Die Vernetzung von Lotsendiensten mit den Frühen Hilfen und anderen weiterführenden Angeboten wurde als großer Gewinn beschrieben. Die Erfahrungen aus der Praxis zeigten unterschiedliche Vernetzungsansätze, zum Beispiel gegenseitige Hospitanz von Fachkräften in Lotsendiensten und den Frühen Hilfen oder die stetige Verankerung im Netzwerk Frühe Hilfen.
Angesprochen wurden auch Ideen, um Lotsendienste bei Eltern schon im Vorfeld der Geburt bekannt zu machen. Sinnvoll wäre dies zum Beispiel bei allgemeinen Informationsveranstaltungen der Geburtsstation, bei der persönlichen Vorstellung in der Klinik oder über Schwangerschaftsberatungsstellen.
Im Fokus der Austauschrunde über die praktische Umsetzung von Lotsendiensten standen zwei verschiedene Formen von Lotsendiensten mit ihren Arbeitsabläufe:
- Bei dem (beispielhaften) Lotsendienst in einer gynäkologischen Praxis erhalten die Mütter während der Schwangerschaft eine Postkarte mit Informationen über den Lotsendienst. Bei den Müttern, die das Angebot annehmen, gelingt die Lotsung selbst gut. Das Angebot wird aber bisher noch nicht ausreichend angenommen.
- Bei Lotsendiensten in Geburtskliniken finden die Gespräche in der Regel nach der Geburt im Klinik-Zimmer/am Bett statt. Unterstützungsbedarfe werden direkt im Gespräch geklärt.
Unabhängig von der Form waren sich die Teilnehmenden einig, welche Kern-Aufgaben Lotsinnen und Lotsen übernehmen:
- Gespräch mit (werdenden) Müttern,
- Vermittlung in weitere passgenaue Unterstützungsangebote,
- bei Bedarf auch weitere persönliche Begleitung.
Wichtig war in der Runde, dass eine Etablierung von Lotsendiensten in Kliniken nur möglich sei, wenn die Klinikleitung dahintersteht. Entsprechend müsse in gynäkologischen Praxen das medizinische Personal das Angebot mittragen und den Mehrwert für sich erkennen.
Für eine gelingende Umsetzung von Lotsendiensten wurden abschließend drei zentrale Punkte festgehalten:
- Vernetzung / gute Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten ist wichtig,
- Finanzierung muss gewährleistet sein,
- Öffentlichkeitsarbeit ist nötig, um Lotsendienst bekannt zu machen, zum Beispiel über Klinik-Homepage, Flyer, Social Media, niedergelassene Praxen (Pädiatrie und Gynäkologie), Qualitätszirkel.
Im Fokus der Session standen Überlegungen, wie eine wirksame und strukturierte Zusammenarbeit zwischen Gesundheitswesen und Frühen Hilfen gelingen kann.
Die Diskussion hat gezeigt, dass Qualitätskriterien – wie vom NZFH veröffentlicht – eine wichtige Orientierung für die Arbeit der Lotsendienste in Kliniken bieten. Sie helfen, das Arbeitsfeld zu strukturieren und ein gemeinsames Verständnis zwischen allen Beteiligten zu schaffen.
Grundlegend dabei sei auch das Vorgehen in drei Schritten:
- Assessment/Einschätzung von Unterstützungsbedarfen bei allen Frauen,
- vertiefendes Gespräch mit gemeinsamer Bedarfseinschätzung,
- Informationen/Überleitung in weiterführende Angebote.
Intensiv diskutiert wurde zudem die Frage nach Verbindlichkeit der Kriterien: Sie bieten klare Orientierung, sind aber politisch nicht als verpflichtend festgelegt. Beispiele zeigten, dass regelmäßige Prozessberatung, verpflichtende Kooperationen und Schulungen zu einer höheren Qualität und besseren Finanzierung beitragen können.
Zudem ging es um die Bedeutung von Transparenz und Kommunikation: Transparente Vorgehensweisen der Lotsendienste und ein systematischer Austausch im Netzwerk Frühe Hilfen seien hilfreich. Ein strukturiertes Instrument für Fachkräfte in Lotsendiensten sei nötig, um Belastungen systematisch erkennen zu können.
Viele Herausforderungen – etwa Datenschutz, Abstimmungsprozesse oder Akzeptanz im Klinikteam – ließen sich nur durch kontinuierliche Aushandlungen, klare Kommunikationsstrukturen und unterstützende Leitungsentscheidungen bewältigen.
Abschließend blickte die Runde auf die Eltern selbst und die Bedeutung, sie in sämtliche (Überleitungs-)Prozesse einzubeziehen. Unterstützt durch Studien, die zeigen, dass Eltern sich dadurch weniger/nicht stigmatisiert fühlen, waren sich die Teilnehmenden einig: Mütter sind Expertinnen ihres eigenen Lebens und ihre Perspektive hilft, Bedarfe besser einzuschätzen.
Zentrale Fragen der Diskussionsrunde waren, was "Wirkung" und "Wirkungsmessung" im Zusammenhang mit Lotsendiensten bedeutet: Wann kann man davon sprechen, dass ein Lotsendienst "wirksam" ist?
Wichtig war den Teilnehmenden die Erkenntnis, dass ein Lotsendienst schon dann wirksam ist, wenn Familien rund um die Geburt erreicht werden und bei Bedarf die Überleitung in weiterführende Hilfen gelingt.
Mit Blick auf die vorgestellten Forschungsergebnisse betonten sie daher erneut die Bedeutung der Lotsendienste: Da etwa 98 Prozent der Geburten in Geburtskliniken erfolgen, stellen die Lotsendienste eine gute Möglichkeit dar, Familien rund um die Geburt zu erreichen.
Die Teilnehmenden waren sich einig: Erkenntnisse aus der Forschung und Praxis liefern genug Argumente, um Lotsendienste flächendeckend zu etablieren und die dafür notwendige Finanzierung bereitzustellen.
Abschließend standen bei Mechtild Paul und Jörg Backes Dankesworte im Fokus: Dank an die Studienteilnehmenden, an die Konferenz-Beteiligten und an alle, die sich für Kinder engagieren.
Sie regten an, sich auf Grundlage der Studienergebnisse weiter für Lotsendienste einzusetzen: Für ihren Aufbau, ihre qualitative Weiterentwicklung und die Zusammenarbeit mit den Netzwerken Frühe Hilfen. Die Studienergebnisse und Erfahrungen aus der Praxis seien wichtige Argumente für einen flächendeckenden Ausbau und dessen Finanzierung.


