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Themenforum I: Politische Verankerung Früher Hilfen vor Ort

Prof. Dr. Jörg Fischer (FH Erfurt und IKPE, Institut für kommunale Planung und Entwicklung) und Thomas Fügmann (Landrat des Saale-Orla-Kreises)

"Netzwerke mit ihrem Fokus auf Konsens können wichtige Impulse in den politischen Bereich geben."

Eine der zentralen Fragen für die Wirksamkeit von Frühen Hilfen auf kommunaler Ebene zielt darauf ab, wie sich die Anliegen der Frühen Hilfen politisch verankern lassen. Sowohl von theoretisch-forschender als auch von politisch-praktizierender Seite aus nahmen Prof. Dr. Jörg Fischer aus Erfurt und Thomas Fügmann, Landrat des Saale-Orla-Kreises, die Voraussetzungen dafür in den Blick.

Prof. Dr. Jörg Fischer: Ein fachlicher Blick auf die politische Verankerung

Frühe Hilfen, so Prof. Dr. Fischer im ersten Kurzreferat der Konferenz, seien der "Einstieg in ein reflexives Modell von politischer Verankerung", bei dem der Fokus auf politischer Partizipation liege anstatt auf reiner Legitimation. Während Verwaltung und Politik jeweils eigenen Logiken ("Zuständigkeit" bzw. "Mehrheitsentscheidung") folgten und auch bereits Erfahrung damit hätten, andere Logiken – wie etwa die Unternehmenslogik mit dem Fokus auf "Wettbewerb" – in ihren Alltag einzubinden, spiele sich die Netzwerklogik ("Konsens") im Gegensatz dazu nicht als deren Ersatz auf, sondern verstehe sich als Ergänzung. Fachliche Netzwerkerkenntnisse seien ein Weg, komplexe Probleme zu lösen. Prof. Dr. Fischer: "Die Netzwerklogik bietet etwas an, was die Unternehmenslogik nicht hat: Während die Politik von oben nach unten agiert, agiert die Netzwerk-Logik von unten nach oben und kann damit wertvolle Impulse auch für andere politische Bereiche geben." Seines Erachtens könne das Netzwerk Frühe Hilfen zu einem neuen erweiterten Verständnis von Politik führen, die nicht auf Selbstlegitimierung aus ist.

Thomas Fügmann: Politische Verankerung der Frühen Hilfen im Saale-Orla-Kreis

Dass "Frühe Hilfen" zur Chefsache avancieren können, erfuhren die Teilnehmenden von Thomas Fügmann, Landrat des thüringischen Saale-Orla-Kreises. In seinem Landkreis gelang, was für das Thema politische Verankerung von Frühen Hilfen insgesamt wichtig ist – nämlich die Herzen der politischen Akteure zu erobern. Denn dass "Frühe Hilfen" ganz oben auf der politischen Agenda im Saale-Orla-Kreis angekommen sind, liegt ganz maßgeblich am Engagement des Landrats. Das Thema ist dem ehemaligen Mathematik- und Physiklehrer ein höchstpersönliches Anliegen. Während die Steuerungsverantwortung insgesamt beim Jugendamt liegt, hat er die Weiterentwicklung des Netzwerks Frühe Hilfen zu seiner Aufgabe gemacht. Er warb (und wirbt) bei den politischen und gesellschaftlichen Akteuren nicht nur für die Inhalte der Frühen Hilfen, sondern sorgte auch mit dafür, dass die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen wurden. So ist das Netzwerk Frühe Hilfen im Saale-Orla-Kreis kommunalpolitisch im Jugendhilfeausschuss verankert, einmal im Jahr wird über dessen Arbeit gesprochen und werden Entscheidungen auf den Weg gebracht.

Thomas Fügmann wies in dem Zusammenhang auch darauf hin, wie wichtig es sei, systemübergreifend zu denken und Frühe Hilfen als Teil der Jugendhilfe- und Sozialplanungen zu einem Gesamtkonzept zusammenzufügen. Ebenso wichtig sei es, sehr genau auf die sozialräumlichen Bedingungen vor Ort zu achten. Der Saale-Orla-Kreis etwa sei sehr ländlich geprägt und ohne richtiges Zentrum, so auch ohne eine Geburtsklinik. All dies müssten die Angebote der FH berücksichtigen.

Wie groß der Rückhalt für die Frühen Hilfen im Saale-Orla-Kreis ist, machte die letzte Folie seines Vortrags klar. Er zeigte die Kooperationspartner und -partnerinnen der Frühen Hilfen bei der Unterzeichnung einer Vereinbarung zu dem partizipativen Qualitätsdialog der Frühen Hilfen im Landkreis. Von Amtsgericht über Kreissparkasse, Polizei und Beratungsstellen hatte der Landrat eine beachtliche Institutionenvielfalt und Unterstützenden-Gruppe zusammengetrommelt – kein Wunder, dass er zum Ende meinte: "Ich bin sehr erfreut über diese Arbeit in der ganzen Struktur."

Fragen aus dem Plenum:

Herr Fügmann, wie ist das Thema Frühe Hilfen bei Ihnen auf der Agenda gelandet? Warum ist es für Sie so bedeutsam?

Thomas Fügmann: Ich habe gleich zu Anfang versucht, die schwierigen Fälle zu verstehen und bin zu der Erkenntnis gekommen: Es lag entweder daran, dass man es hat schleifen lassen, oder dass man den Fall viel zu spät aufgegriffen hat. Mein Schluss daraus war: So früh wie möglich und so effektiv wie möglich eingreifen, um Kinder auf den Weg zu bringen. Am Ende rechnet sich das frühe Eingreifen auch finanziell. D.h. wir müssen frühestmöglich alle mögliche Unterstützung geben.

Wieso ist bei Ihnen das Netzwerk Frühe Hilfen in einer Stabsstelle verankert?

Thomas Fügmann: Ich habe das Netzwerk FH bewusst als Stabsstelle eingerichtet und zur Chefsache erklärt, um damit die Wertigkeit der Arbeit zu betonen, die wir dem Thema zumessen. Entscheidend ist, dass diese Wertigkeit in den Gremien zum Tragen kommt. Wenn die Leitung, wenn ganz oben dies als seine Verantwortung wahrnimmt, ist das ein Signal.

Jörg Fischer: Meines Erachtens ist es nicht so relevant, wo genau die politische Verortung der Frühen Hilfen angesiedelt ist, denn die hat oft auch mit dem Wunsch nach Kontrolle zu tun. Für viel wichtiger halte ich den Aspekt der Wertigkeit. Und die Frage: Welchen Zugang haben die Koordinierenden der Netzwerke FH zu den eigenen Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung? Zunächst wurde dies als nicht so dringliche Aufgabe gesehen, aber nach und nach haben viele gemerkt, dass es keinesfalls gegeben ist, dass im eigenen Haus alle an einem Strang ziehen. Die jeweiligen Eigenlogiken sind viel wichtiger als zunächst gedacht.

Wie kann das Interesse von Politik an Frühen Hilfen noch mehr geweckt werden?

Jörg Fischer empfahl den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, auf folgende Punkte zu achten:  

  1. Was sind Ihre zentralen Botschaften? Denken Sie in Kampagnen! 
  2. Suchen Sie sich Verbündete (z.B. aus der Jugendhilfe- und Sozialplanung), die als Übersetzer und Vermittler für FH wirken könnten. FH muss Teil der Fach-Jugendhilfe werden. Sie sind sehr wichtig als Übersetzer und Weiterträger!  
  3. Mit FH können viele Mitglieder der Ausschüsse nichts anfangen. Ermöglichen Sie deshalb den persönlichen, individuellen Zugang. Laden Sie die Zielgruppe ein, gehen Sie selbst vor Ort, um Einrichtungen etc. kennenzulernen. Machen Sie Ihr Thema fassbar! Bieten Sie die Möglichkeit und Chance zum Kontakt mit den Zielgruppen. Schaffen Sie Zugänge zu Betroffenen.