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Podiumsdiskussion

Auf dem Podium nahmen aus ihrer spezifischen Perspektive Stellung: Hermann Kostrewa, Prof. Dr. Sabine Andresen, Andreas Staible, Prof. Dr. med. Ute Thyen und Dr. med. Petra Kapaun. Mechthild Paul und Dr. med. Sönke Siefert moderierten.

  • Hermann Kostrewa,
    Erster Beigeordneter und Leiter des Dezernats Soziales, Gesundheit, Jugend, Bildung und Kultur des Landkreises Spree-Neiße
  • Prof. Dr. Sabine Andresen,
    Vizepräsidentin des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB)
  • Andreas Staible,
    Fachbereichsleiter Integration und Beratung – Komplexe Profile, Zentrale der Bundesagentur für Arbeit (BA)
  • Prof. Dr. med. Ute Thyen,
    Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) und Vorsitzende des NZFH-Beirats
  • Dr. med. Petra Kapaun,
    Niedergelassene Kinder- und Jugendärztin aus Hamburg

Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Mechthild Paul, NZFH, BZgA und Dr. med. Sönke Siefert, BAG Gesundheit & Frühe Hilfen.

Zentrales Thema der Diskussion waren die Unterschiede in der Versorgung und der Bedarfe in den Regionen (oder Stadtteilen), die ein Erreichen der Familien in ihrem Sozialraum notwendig machten. Prof. Dr. med. Ute Thyen betonte, wie relevant es dabei sei, die Problemlagen "weg von individuellen Risikofaktoren" zu betrachten und die Familie stattdessen systemisch im sozialen Kontext anzusprechen. Prof. Dr. Sabine Andresen wies in diesem Zusammenhang auf eigene Studienerkenntnisse hin, die deutlich machten wie wichtig es sei, Eltern einerseits mit Informationen zu erreichen, ihnen aber andererseits niederschwellig und mit einer respektvollen Haltung stigmatisierungsfrei zu begegnen, damit diese Vertrauen entwickelten und Angebote annehmen würden. Als Kinder- und Jugendärztin berichtet Dr. med. Petra Kapaun, dass Eltern zunächst und in der Mehrheit gute Eltern sein möchten "und sie tun alles dafür, dass es so bleibt. Sie wünschen sich eine liebevolle Beziehung und dass es ihre Kinder mal gut haben und es schaffen mit dem Leben."

Im Hinblick auf Partizipation forderte Prof. Dr. med. Ute Thyen die Beteiligung von Eltern als Experten an der Konzeption der Hilfeverfahren. Sie erläuterte ergänzend, dass es den sozial schwächeren Eltern häufig schwerer falle, zu benennen, was für ein gesundes Aufwachsen benötigt werde. Dem gegenüber stünden gebildete, engagierte Eltern aus Mittel- und Oberschicht, die sehr genau formulieren und fordern könnten, was sie benötigen. "Viele Angebote helfen denen am meisten, die sie am wenigsten brauchen." Die Einbindung der Bildungsinstitutionen habe einen hohen Stellenwert, weil hier Familien ggf. bereits ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes erreicht werden könnten. Auch bei der Schaffung von Familien- und Nachbarschaftszentren sollte der Sozialraumbezug gegeben sein, so Herrmann Kostrewa, beispielsweise durch Andockung an bestehende Einrichtungen der Jugendarbeit oder an Kitas.

Ein zentraler Faktor bei der Unterstützung von Eltern in Armutslagen könne die Beseitigung von Arbeitslosigkeit sein. Dass es dabei nicht nur um eine Verbesserung der Einkommenslage, sondern auch um die veränderten Erfahrungsmöglichkeiten von Kindern gehe, "dass Eltern arbeiten", berichtet Hermann Kostrewa und beschrieb , wie langfristig orientierte Beschäftigungsprojekte in seiner Kommune die Familie in ihrer Ganzheit unterstützten und positive Auswirkungen hätten.

Damit "gut gemeinte Unterstützungsangebote im Hinblick auf Bewegungs- oder Ernährungsberatung nicht als Gängelung verstanden werden, ist ein gemeinsames Vorgehen zentral", so Andreas Staible. Aus Sicht der Agentur für Arbeit wies er auch darauf hin, dass neben regionalen Vernetzungsstrukturen auch zentrale Ansätze relevant seien, damit bei der Leistungsvergabe nicht z.B. nach Kassenzugehörigkeit unterschieden werden müsse.

Prof. Dr. Sabine Andresen äußerte sich mit Blick auf die vorliegende Datenlage über Auftreten und Folgen von Armut kritisch über den fehlenden "echten überzeugenden, politischen Willen, Kinder- und Familienarmut gründlich zu bekämpfen." Dass es bei den politischen Rahmenbedingungen nicht in erster Linie um Geld gehe, sondern um ein gutes Ineinandergreifen von Konzepten und der Förderung von qualitätsgesicherten und evidenzbasierten Projekten, merkte unter anderem Prof. Dr. med. Ute Thyen an. Im Hinblick auf die Gesetzeslage fordern die Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmer die gute Abstimmung von Konzepten, beispielsweise im Zusammenschluss des Präventionsgesetzes mit den Frühen Hilfen. Herr Kostrewa wies in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung von Kontinuität hin, unter anderem in der Finanzierung von Modellprojekten oder bei den Arbeitsbedingungen für Fachkräfte. "Verlässlichkeit für Gemeinden, Träger und damit auch die Familien ist notwendig."

Über den Aspekt einer Diskriminierung von Familien in Armutslagen sprach Prof. Dr. med. Ute Thyen. Selektive Prävention, so merkte sie an, könne effektiv sein und Kosten sparen. Da es jedoch schwierig sei, Familien mit den höchsten Risikolagen zu identifizieren, bestünde die Gefahr, dass Unterstützungsangebote aufgrund bestimmter definierter Faktoren diskriminierend zugewiesen oder abgelehnt werden. Insgesamt diskriminierend sei die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention Schutzförderung und Beteiligung, die in den benachteiligten sozialen Gruppen nicht so umgesetzt würde, wie in den bevorteilten.

Für die konkrete Arbeit vor Ort betonten die Diskutanten den großen Stellenwert von Kooperation, damit für die betroffenen Familien ein Netz gestrickt werden könne: pädagogisch, sozial, medizinisch. Dabei ginge es neben einer konkreten Zusammenarbeit auch um bessere Kenntnis und Abstimmung von Prozessen und Zuständigkeiten, die in der Beratung und Hilfeleistung laufen. Andreas Staible wies hier auf die Rolle der BA zum einen als Lotse hin, forderte aber auch dazu auf, die Jobcenter vor Ort in Kommunikationsprozesse einzubinden. Prof. Dr. med. Ute Thyen plädierte für die Ausstattung von Eltern mit einem vorzeigbaren Portfolio-Instrument, in welchem beispielsweise Beratungsergebnisse und Kontakte gesammelt würden und mit dem in den verschiedenen Hilfesystemen, mit denen die Familie in Berührung kommt, weitergearbeitet werden könne. Herrmann Kostrewa wies hier auf die Gefahr einer zu großen Transparenz hin. "Es kann wichtig sein, dass nicht jede Institution schon alles von der Vorgängerinstitution weiß. Ein Neustart kann für manche Familien hilfreich sein."