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Technologische Innovationen zur Entlastung nutzen

Wie kann die Digitalisierung Fachkräfte im Kinderschutz entlasten? Welche Anforderungen müssen KI-gestützte Instrumente erfüllen und wie kann die Implementierung gelingen? Die Expertinnen und Experten im Fachgespräch haben Ideen und Antworten diskutiert.

Zu den Chancen der Digitalisierung zählt, dass sie Fachkräfte bei ihren Kerntätigkeiten unterstützen kann. Dazu zählen Falldokumentation, Beratung und Vermittlung von Familien und die Vernetzung mit Kooperationspartnern. Dies ermöglicht einen schnelleren und effizienteren Ablauf von Arbeitsprozessen, was zur Entlastung von Fachkräften führen kann. Der Einsatz von Technik – gekoppelt mit Beratungen und Hilfen in Präsenz – kann zudem die Teilhabe von Klientinnen und Klienten durch einen niedrigschwelligen Zugang zu Unterstützung fördern. In der Praxis ist die Digitalisierung der Aufgaben und Leistungen des ASD allerdings oft eher im Aufholprozess. Die Entwicklung steht noch nicht im Einklang mit den bereits weit fortgeschrittenen digitalisierten Lebenswelten vieler Fachkräfte und Familien – trotz bestehender Ungleichheiten im digitalen Zugang, in den Kompetenzen und in der Nutzung – und bleibt auch hinter dem Stand der Digitalisierung in anderen Berufsfeldern zurück.

Ein ähnliches Bild zeichnet sich beim Einsatz von innovativen Technologien, wie Künstlicher Intelligenz (KI), ab. Während KI in anderen Arbeitsgebieten, wie beispielsweise der Medizin, bereits breite Anwendung findet, wird sie in der Kinder- und Jugendhilfe bislang eher selten eingesetzt. Da voraussehbar ist, dass KI in der Zukunft eine immer bedeutendere Rolle spielen wird, ist es wichtig, dass sich auch die Kinder- und Jugendhilfe mit KI beschäftigt und dem potenziellen Nutzen für ihre spezifischen Aufgabengebiete.

Aus der Praxis: krisenchat.de

Welches Potenzial KI bereits heute für das Arbeitsfeld Kinderschutz hat, präsentierte Juliane Pougin, Psychologische Leitung bei krisenchat.de, in einer Breakout-Session. Krisenchat.de ist ein Beratungsangebot für Kinder, Jugendliche und junge Menschen per Chatfunktion. Eine KI-Software unterstützt Fachkräfte im Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen indem

  • Kontakt-, Hilfeverlaufs- und Gefährdungsinformationen über das Kind oder den Jugendlichen strukturiert und aufbereitet werden,
  • Fachkräfte eine individuelle Beratungsstrategie und weitere Beratungsmaterialien zur Verfügung gestellt bekommen und
  • Anlauflaufstellen für die Weitervermittlung des Kindes oder des Jugendlichen generiert werden.

Bei krisenchat.de ist außerdem eine KI-Software in Entwicklung, mit der Fachkräfte eine Warnmeldung erhalten, sofern ein erhöhtes Risiko einer Suizidalität des Kindes oder des Jugendlichen durch das Tool festgestellt wird.

Ideen für den Einsatz von KI

Im Fachgespräch entstanden Ideen und Anregungen, für welche weiteren Arbeitsaufgaben der ASD-Fachkräfte der Einsatz von KI eine Entlastung und Unterstützung bewirken könnte:

  • Erstellung von Aktenvermerken, Strukturierung und Aufbereitung der Vermerke für Fallanalysen im Rahmen von Qualitätsentwicklungsverfahren,
  • Formulierung von Hilfeplänen, die für Eltern annehmbar sind und Qualitätsmerkmale enthalten,
  • Verfassen von Stellungnahmen für das Familiengericht, unter Berücksichtigung spezifischer Anforderungen.

Die Expertinnen und Experten sahen das Potenzial der KI auch besonders darin, Fachkräfte bei der Dokumentation und im Schriftverkehr zu stärken. Eine Unterstützung wird hier insbesondere für bereits im Kinderschutz tätige Fachkräfte mit Deutsch als Fremdsprache gesehen und für Fachkräfte mit noch geringer Erfahrung im Kinderschutz. Zugleich wird jedoch das Risiko gesehen, dass unsichere und unerfahrene Fachkräfte vorschnell Verantwortung an Instrumente delegieren und sich unreflektiert auf die Ergebnisse von KI stützen.

Aus der Praxis: Assistenzsystem im Kinderschutz

Erste Ansätze und Forschungsprojekte für die Implementierung von KI im Jugendamtskontext bestehen bereits: So wurde im Jugendamt Breisgau-Hochschwarzwald ein KI-basiertes Assistenzsystem für den Kinderschutz entwickelt, das Datenschutzsicherheit bietet und die Fachkräfte des ASD unter anderem durch die Bereitstellung sozialpädagogischer, rechts- und suchtmedizinischer Expertise unterstützt.

Zentrale Aspekte zur Implementierung von KI im Kinderschutz

Der Einsatz von KI im Kinderschutz scheint grundsätzlich nicht mehr eine Frage des "Ob?", sondern des "Wie?" zu sein. Im Rahmen des Fachgesprächs sammelten die Expertinnen und Experten Ideen, Erfahrungen und Empfehlungen, wie die Implementierung von KI im Kinderschutz gelingen kann:

  • Öffentliche Träger der Kinder- und Jugendhilfe benötigen einen Orientierungsrahmen und Handlungsleitlinien, wie der Einsatz von KI datenschutzkonform realisiert werden kann.
  • Die Implementierung von KI sollte als zeitintensiver und partizipativer Prozess angesehen werden:
    • Partizipation: Fachkräfte sollten in die Implementierung miteinbezogen werden, zum Beispiel mit einer Abfrage: In welchen Bereichen wird eine Unterstützung durch KI für sinnvoll erachtet? Welche Tools werden tatsächlich für leicht bedienbar und benutzerfreundlich gehalten und könnten somit eine Arbeitserleichterung bieten?
    • Digitales Know-how: Fachkräfte benötigen Schulungen, Kompetenzen und Wissen im Umgang mit der KI. Die "Leitlinien zur Nutzung von Künstlicher Evidenz" im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e. V. (EWDE) dienen beispielsweise als Orientierungshilfe für EWDW-Mitarbeitende und haben Empfehlungscharakter.
  • KI sollte lediglich eine Assistenz für Fachkräfte darstellen. Die KI bietet beispielsweise entscheidungsunterstützende Informationen und Datenanalysen, die Entscheidung und Verantwortung bleibt aber bei der Fachkraft.
  • Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Trägern und Hochschulen bei der Entwicklung von KI-Systemen für den Kinderschutz. KI-Systeme sollten interdisziplinär, zum Beispiel mit Fachkräften aus Sozialarbeit, IT und Ethik, und zusammen mit der Fachpraxis entwickelt werden, sodass sie den spezifischen Bedarfen des Kinderschutzes entsprechen. Hochschulen suchen hier oftmals Projektpartner.
  • Orientierung an Vorreitermodellen für den Einsatz von KI im Kinderschutz: Bestehende Forschungs- und Modellprojekte können Hinweise auf mögliche Chancen und Herausforderungen von Entwicklungsprozessen und des Nutzens von KI im Kinderschutzkontext geben.
  • Großes Potenzial sahen Expertinnen und Experten des Fachgesprächs zusätzlich zu den oben genannten Ansätzen auch in KI-gestützten Übersetzungstools. Diese sind leicht zu bedienen, liefern oft genaue Übersetzungen und können somit dazu beitragen, Sprachbarrieren abzubauen, wenn Fachkräfte und Familien keine gemeinsame Sprache teilen. Zu den Einschränkungen bei der Genauigkeit der Übersetzung gehört, dass KI Schwierigkeiten haben kann, mehrdeutige Begriffe oder kulturelle Nuancen angemessen zu übertragen.