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Qualität in den Frühen Hilfen

Wissenschaftlicher Bericht 2020 zum Thema Qualitätsentwicklung

Der erste wissenschaftliche Bericht zur Bundesstiftung Frühe Hilfen beschreibt umfassend und detailliert den Ausbaustand der Frühen Hilfen in den Jahren 2018 bis Ende 2020 mit dem Schwerpunktthema Qualitätsentwicklung in den Frühen Hilfen. Er blickt auch auf die besonderen Herausforderungen und Auswirkungen der Corona-Pandemie.

Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) unterstützt seit 1. Januar 2018 die Bundesstiftung Frühe Hilfen bei der Sicherstellung des Stiftungszwecks, ein bundesweit einheitliches Qualitätsniveau im Bereich Früher Hilfen zu gewährleisten. Jeweils für einen Berichtszeitraum von drei Jahren veröffentlicht das NZFH einen wissenschaftlichen Bericht, der zentrale Entwicklungen und Ergebnisse aufzeigt.

Der erste Bericht ist unter dem Eindruck der Corona-Pandemie entstanden, deren Auswirkungen von Beginn an besonders bereits belastete Familien und ihre Kinder betroffen haben.

Die Publikation enthält drei Teile:

  • Bericht der Geschäftsstelle der Bundesstiftung Frühe Hilfen
  • Bericht des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH)
  • Gesamtbericht der Bundesländer

Bericht zum Herunterladen und Bestellen:

Lesen Sie hier das Summary des Wissenschaftlichen Berichts

Auf einen Blick: Qualitätsentwicklung in den Frühen Hilfen

Die Frühen Hilfen können mittlerweile auf 15 Jahre erfolgreiche Netzwerkarbeit zurückblicken. Ihre Grundmotivation ist in dieser Zeit unverändert geblieben – und so wichtig wie eh und je: Jedem Kind eine gesunde Entwicklung und ein gewaltfreies Aufwachsen zu ermöglichen.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, bieten die Frühen Hilfen auf Bundesebene seit 2007 Müttern und Vätern (ab der Schwangerschaft und mit Kindern bis zu drei Jahren) in belastenden Lebenslagen auf vielfältige Weise Unterstützung an. Diese erfolgt stets niedrigschwellig, diskriminierungsfrei, respektvoll und in enger Abstimmung mit den Familien. Frühe Hilfen beziehen unter anderem das umfangreiche Angebot der Kinder- und Jugendhilfe und des Gesundheitswesens sowie der Schwangerschaftsberatung, Frühförderung und Familienbildung ein. Die Frühen Hilfen haben sich auf allen föderalen Ebenen flächendeckend etabliert und entwickeln sich ständig weiter. Damit leisten sie einen wesentlichen Beitrag auch zur Familienfreundlichkeit und zur Verwirklichung von Kinderrechten in den Kommunen, der Lebenswelt von Familien.

Von Anfang an ein dynamisches Handlungsfeld

Die Frühen Hilfen wurden als dynamisches, lernendes Handlungsfeld präventiver familiärer Unterstützung konzipiert. Zu ihrem Aufbau haben Bundes- und Landesprogramme, kommunale Initiativen, freie Träger und das Engagement von Stiftungen erheblich beigetragen. Neben der Förderung des flächendeckenden Ausbaus wurde die Qualitätsentwicklung dabei von Anfang an mitgedacht. Qualitätsentwicklung ist eine Daueraufgabe in den Frühen Hilfen, die alle Prozesse begleitet und analysiert. Sie ist die Grundlage dafür, dass sich das vielgestaltige Netzwerk der Frühen Hilfen auf allen föderalen Ebenen – von den Kommunen bis in den Bund – nachhaltig entfalten konnte und eine hohe Akzeptanz erfährt.

Auch in Zukunft ist es für die Frühen Hilfen wesentlich, Qualität fortlaufend weiterzuentwickeln. Dies gehört zu den zentralen Aufgaben des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH). Sie wird umgesetzt durch Forschung, Reflexion und Austausch mit Fachleuten. Es findet eine Aufbereitung und Bewertung der Erkenntnisse auf allen Ebenen statt, insbesondere durch die Entwicklung geeigneter Materialien zur Unterstützung der Fachpraxis.

Qualitätsentwicklung mithilfe von Leitmodellen

Ziel der Qualitätsentwicklung ist, für die Umsetzung der Frühen Hilfen Orientierung zu geben. Dabei richtet sich das NZFH an den Prinzipien Konzept-, Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität aus. Das heißt: Im besten Fall wird Qualität so entwickelt, dass Bedarfe der Familien, wissenschaftliche Erkenntnisse, gesetzliche Vorgaben, die Gegebenheiten und Vorstellungen der Länder und Kommunen sowie der Anbieter von Frühen Hilfen zusammengedacht werden.

Bei einem solchen umfangreichen Qualitätsentwicklungsprozess sind viele verschiedene Ebenen beteiligt und es müssen zahlreiche Bedingungen beachtet werden. Um die Komplexität handhabbar zu machen, bilden theoretische Leitmodelle eine gute  Grundlage für Qualitätsentwicklungsprozesse von Angeboten, Netzwerken und Programmen. Würden diese ohne solche Modelle geplant, wären das Ergebnis und die Wirkung oftmals nicht nachvollziehbar. Gute Leitmodelle enthalten mindestens die angestrebten Ziele und Annahmen darüber, mit welchen Mitteln sie erreicht werden können. Das NZFH bedient sich dabei der theory of change (Wirkungstreppe), des Logischen Modells Frühe Hilfen und vor allem des – gemeinsam mit dem Beirat entwickelten –  Qualitätsrahmens Frühe Hilfen als Basis für den Qualitätsentwicklungsansatz.

Aktuelle Qualitätsentwicklungsfelder

Nur wenn Qualität fortlaufend auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen weiterentwickelt wird, können Frühe Hilfen ihre Wirksamkeit vollständig entfalten. Derzeit stehen im Fokus der Qualitätsentwicklung in den Frühen Hilfen besonders drei Bereiche:

  • Zielgruppenspezifische Angebote
  • Kooperationsstrukturen und Schnittstellen
  • Fachkräfte und Freiwillige

Zielgruppenspezifische Angebote

Besonders wichtig ist, dass Familien Zugang zu den Angeboten der Frühen Hilfen finden und diese dann auch genau auf die Bedarfe der Familien zugeschnitten sind. Belastete Familien nehmen Unterstützungsangebote oftmals seltener in Anspruch als ressourcenstärkere Familien, obwohl Erstere in der Regel einen größeren Bedarf haben. Die Forschung des NZFH zu diesem sogenannten Präventionsdilemma hat gezeigt, dass die Weichen für eine erfolgreiche Unterstützung durch Angebote der Frühen Hilfen bereits durch die Art der Ansprache gestellt werden. Hierzu plant das NZFH in Zukunft weiterhin verstärkt Aktivitäten, um mehr Beteiligung von Familien zu ermöglichen und die Ansprache und die Kommunikation mit den Eltern zu erleichtern. Ob Familien Zugang zu den Angeboten der Frühen Hilfen finden, hängt zudem von der Grundhaltung der Fachkräfte ab, die mit ihnen im Kontakt stehen.

Da sich die soziale Situation von Familien und ihre Bedarfe ständig wandeln, ist ein permanenter Entwicklungs- und Anpassungsprozess nötig. Deshalb sollte die Entwicklung ihrer Bedarfe dauerhaft beobachtet werden. Die Datenlage zeigt, dass zukünftig besonders folgende Familien im Fokus der Qualitätsentwicklung von Hilfsangeboten stehen werden: von Armut gefährdete Familien; Familien, in denen ein oder beide Elternteile psychisch erkrankt sind; Familien mit Migrations- oder Fluchtgeschichte sowie Familien mit vielfachen Belastungen und alleinerziehende Mütter und Väter. Darüber hinaus rücken Väter als Adressaten mehr in den Blick der Frühen Hilfen.

Generell bleibt die Frage nach passgenauen Zugängen und Angeboten der Frühen Hilfen auch zukünftig relevant. Der Ausbau flächendeckender Unterstützungsangebote –  von Begrüßungsbesuchen über Gruppenangebote und offene Sprechstunden bis hin zu anonymer Online- und Telefonberatung – ermöglicht einen besseren Zugang und eine genauere Ansprache von Familien. Besonders die aufsuchende Begleitung, Familienzentren, mobile und digitale Angebote sowie Lotsendienste, beispielsweise in Geburtskliniken oder in Praxen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte, haben sich in dieser Hinsicht als vielversprechend gezeigt.

Kooperationsstrukturen und Schnittstellen

Die Schnittstellenarbeit ist eine der großen Herausforderungen für die Frühen Hilfen. Damit Angebote optimal entwickelt und von den Familien genutzt werden können, bedarf es vor allem auf kommunaler Ebene verlässlicher Zusammenarbeit an den Schnittstellen, auch über Systemgrenzen hinweg. Hierfür kann auf erfolgreich erprobte Ansätze zurückgegriffen werden, wie zum Beispiel:

  • Kommunale Qualitätsdialoge (QDFH) zur Weiterentwicklung der Strukturen und Angebote vor Ort. Darin wird unter anderem der Frage nachgegangen, wie Bedarfe von Familien ermittelt und die dazu passende Unterstützung entwickelt werden kann. Hier wurden bereits erste Materialien entwickelt, etwa wie Eltern von Anfang an bei der Entwicklung von Angeboten einbezogen werden können und wie eine kommunalpolitische Verankerung des Themas Frühe Hilfen gelingen kann.
  • Interprofessionelle Qualitätszirkel (IQZ) zur Verständigung von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe. Sie sind ein erprobtes Instrument, das mittlerweile in zahlreichen Bundesländern eingesetzt wird, um Systemgrenzen zu überwinden und besser gemeinsam und vernetzt handeln zu können.
  • Lotsendienste in Geburtskliniken und in niedergelassenen ärztlichen Praxen der Gynäkologie und Pädiatrie zur begleiteten Überleitung von Familien zu bedarfsgerechten Unterstützungsangeboten. Diese wurden in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut.

Fachkräfte und Freiwillige

Erst durch die Fachkräfte und Freiwilligen, die in den Angeboten und Netzwerken der Frühen Hilfen aktiv sind, erfahren Familien alltagsnahe und kompetente Unterstützung.

Dabei haben Koordinierende der Netzwerke Frühe Hilfen eine zentrale Funktion für die Frühen Hilfen in den Kommunen sowie die dortige Qualitätssicherung und -entwicklung. Sie sind wichtige Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, um den strukturellen, an den Bedarfen der Familien orientierten Ausbau der Frühen Hilfen umzusetzen. Oft geht ihr Tätigkeitsspektrum über die Koordination der Netzwerke hinaus und umfasst auch die Beratung von Familien oder die Koordination des Einsatzes von Gesundheitsfachkräften und Freiwilligen in den Familien. Da die Netzwerkkoordinierenden eine Schlüsselfunktion in den Frühen Hilfen wahrnehmen, ist ihre Qualifizierung und Unterstützung mit begleitender Qualitätsentwicklung von besonderer Wichtigkeit.

Dies gilt auch für die Gesundheitsfachkräfte wie Familienhebammen (FamHeb) und Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegende (FGKiKP). Diese gehören ebenfalls zu den zentralen Fachkräften der Frühen Hilfen. Sie begleiten und beraten Mütter, Väter und ihre Kinder direkt im häuslichen und familiären Umfeld. Große zukünftige Herausforderungen in diesem Bereich ergeben sich durch die Veränderungen in den grundständigen Ausbildungen der Gesundheitsfachkräfte und auch angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels. Hier steht das Arbeitsfeld der Frühen Hilfen in Konkurrenz mit anderen Handlungsfeldern. Neben einer guten fachlichen Begleitung ist es daher in diesem Bereich maßgeblich, einem Mangel an Fachkräften in der ambulanten Gesundheitsversorgung entgegenzuwirken. Nur so wird das sinnvolle und wirksame Angebot der Familienhebammen und Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegenden auch auf Dauer in den Frühen Hilfen in ausreichendem Maße etabliert werden können.

Auch das Freiwilligenengagement ist in den Frühen Hilfen fest verankert. Die entsprechenden Angebote tragen zur Unterstützung von Familien bei, insbesondere durch praktische Entlastung im Alltag und durch die Stärkung des sozialen Umfeld. Durch Freiwillige, die in den Netzwerken der Frühen Hilfen aktiv sind, erfahren Familien kompetente alltagsnahe Unterstützung. Zentral für die Qualitätsentwicklung in diesem Bereich ist auch zukünftig die Koordination und fachliche Begleitung von Freiwilligen.

Lehren aus der COVID-19-Pandemie

Wie durch ein Brennglas hat die Corona-Pandemie die ungleiche Verteilung von Ressourcen bei Familien sichtbar gemacht. Eine ganze Reihe von Studien gibt Hinweise darauf, dass Familien, die ohnehin stark belastet sind – zum Beispiel durch beengte Wohnverhältnisse, Partnerschaftskonflikte, psychische Erkrankungen und Armutsgefährdung – von der Corona-Pandemie besonders stark getroffen wurden. Zudem konnten in der Pandemie die unterschiedlichen Unterstützungsnetzwerke Familien mit Hilfebedarf nicht mehr wie gewohnt auffangen.

Es mussten neue Wege für die Arbeit mit den Familien gefunden werden. Diese neuen Methoden zur Aufrechterhaltung des Kontakts in Corona-Zeiten werden auch für die Zukunft dahingehend reflektiert und bewertet werden, inwieweit sie über die Corona-Pandemie hinaus aufgegriffen und weiterentwickelt werden können, um dazu beizutragen, die Angebote der Frühen Hilfen flexibler und passgenauer zu gestalten. Besonders das Thema Digitalisierung wird ein wichtiges Entwicklungsfeld für Zugänge, Netzwerke und Fachkräfte der Frühen Hilfen bleiben.

Digitalisierung als Entwicklungsschub

Es klingt womöglich paradox, doch tatsächlich haben die Einschränkungen, welche durch die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus nötig wurden, auch einen Innovations- und Entwicklungsschub in den Frühen Hilfen bewirkt. In der Pandemie haben Fachkräfte individuell oder gemeinschaftlich in Netzwerken erprobt, wie sie Familien weiterhin begleiten können. Etwa durch Telefonberatung oder Videochats konnten viele Angebote aufrechterhalten werden. Zugleich wurde aber auch deutlich, dass »analoge« Begleitung und Beratung nicht ohne Weiteres direkt in den digitalen Raum übersetzt werden können. Ersetzbar ist der persönliche Kontakt ohnehin nicht. Auch deshalb sind hybride Methoden, bei denen analoge und digitale Formate sinnvoll miteinander verknüpft werden, vielversprechend für die Zukunft.

Nachdenken über neue Formen der Kommunikation

Auf allen Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – offenbarte das notgedrungene digitale Learning-by-doing Kenntnis- und Ausstattungslücken. Es zeigte sich, dass nicht alles, was möglich ist, auch erlaubt ist, etwa wenn der Schutz persönlicher Daten bestimmte Anforderungen an die Onlineberatung stellte. Anderseits war häufig das Erlaubte dort nicht möglich, wo Endgeräte oder passende Datenverbindungen fehlten.

Dennoch konnte in den  Frühen Hilfen im Bereich der Digitalisierung viel erreicht werden: Zur Unterstützung der Länder und Kommunen hat das NZFH ein Onlineangebot für digitales Lernen (E-Learning) aufgebaut. Zudem wurden bewährte Kooperationen mit deutschlandweiten Telefon- und Online-Beratungsangeboten für Familien intensiviert. Des Weiteren soll in Zukunft erforscht werden, wie digitale Plattformen genutzt werden können, um Familien und Fachkräfte bedarfsgerecht auch »auf Distanz« zu unterstützen. Die Digitalisierung hat für die Qualitätsentwicklung in den Frühen Hilfen Potenzial. Dieses muss auf jeden Fall weiterverfolgt werden – allein schon deshalb, da die kommenden Generationen von Familien voraussichtlich sehr viel digitaler leben werden.

elternsein.info

Die Website des NZFH für für Mütter, Väter und alle weiteren Personen, die Kinder erziehen oder betreuen

www.instagram.com/elternsein_info

Instagram-Kanal für Eltern mit Beiträgen rund um den Alltag und Informationen zu Frühen Hilfen