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Frühförderung als Teil der Frühen Hilfen

Armin Sohns, Professor für Heilpädagogik an der Hochschule Nordhausen, berichtet über die Konzeption eines Modellprojekts und seine Umsetzung in der Frühförderstelle Herzberg im Harz, gemeinsam mit Liane Simon, Leiterin der Forschungsgruppe zur Projektevaluation.

An der Hochschule Nordhausen (HSN) wurde ein Konzept zur Ausgestaltung und Verbesserung der Angebote der Frühen Hilfen in den sozialen Nahräumen im Rahmen eines Gesamtsystems entwickelt. Dabei werden die Rechtsgrundlagen der Frühförderung und deren Finanzierung (FrühV im SGB IX) als Basis für ein innovatives, gut koordiniertes Gesamtkonzept genutzt. Dazu gehören:

  • ein offenes Beratungsangebot für alle Eltern, die ein Entwicklungsrisiko bei ihrem Kind vermuten (FrühV § 6a),
  • verbindliche interdisziplinäre Diagnostik und Erstellung eines gemeinsamen Förder- und Behandlungsplans (FuB) mit doppelter Unterschrift (Pädagogik und Medizin) (FrühV §7),
  • ein ganzheitlicher, familienorientierter Ansatz im Rahmen einer Komplexleistung Frühförderung (FrühV § 8)

Hinzu kommen flexible Settings mit dem Schwerpunkt einer mobilen Hausfrühförderung durch feste (pädagogische) Ansprechpartnerinnen und -partner und intensiven Kooperationen mit Familienzentren und den Kindertagesstätten.

Studien zeigen, dass Kinder mit körperlichen, geistigen und Mehrfachbehinderungen allenfalls 20 bis 25 Prozent der Kinder in den Frühförderstellen ausmachen. Der Schwerpunkt liegt bei Kindern mit allgemeiner Entwicklungsverzögerung ohne klare medizinische Diagnose, oft einhergehend mit Sprach- und Wahrnehmungsstörungen und sogenannten psychosozialen Auffälligkeiten.

Das erarbeitete Konzept setzt anstelle isolierter Interventionen auf die verbindliche, interdisziplinäre Abstimmung der beteiligten Professionen. Responsiv arbeitende Fachkräfte werden als Bezugspersonen von den Familien akzeptiert, wobei eine zentrale pädagogische Vertrauensperson Ansprechpartnerin für die Familie ist und bleibt. Sie koordi-niert die verschiedenen Leistungen aller Systeme (einschließlich der inklusiven teilstationären Hilfen, Kindertagesstätten etc.). Die oben beschriebenen hervorragenden Rechtsgrundlagen für die Frühförderung werden dabei mit Leben gefüllt.

Das Projekt in der Praxis

Der Landkreis Göttingen hat diesen Ansatz aufgegriffen. Seit November 2020 ermöglicht er der HSN, in Kooperation mit der örtlichen Frühförderstelle und dem Netzwerk Frühe Hilfen, seine Konzeption im Rahmen eines Modellprojekts im Altkreis Osterode am Harz zu erproben. Im Mittelpunkt stehen vor allem:

  • die Verbesserung der Früherkennung durch den Abbau der Zugangsschwellen. Alle bisher üblichen Antrags- und Überprüfungsverfahren durch Sozial- und Gesundheitsamt entfallen. An ihre Stelle treten die interdisziplinäre Diagnostik und die FuB-Erstellung der beteiligten Fachpersonen,
  • die verbindliche interdisziplinäre Kooperation aller Beteiligten. Den in die Absprachen eingebundenen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und medizinischen Therapeutinnen und Therapeuten werden hierfür eigene Honorare bezahlt. In die FuB-Absprachen wird auch eine Hilfeplanerin des Landkreises als Rehabilitationsträger einbezogen,
  • eigene Programme für präventive Angebote (»fallunspezifische Arbeit«).

Zielgruppe sind die sogenannten »erschöpften Familien«, in denen Eltern sich überlastet und verletzlich fühlen. Persönlich betreuende Fachkräfte sollen die Prinzipien des Empowerments und der Ressourcenorientierung zur Stärkung der Selbstsicherheit und Selbstwirksamkeitskompetenz nutzen, um die Eltern und Kindertagesstätten im responsiven und angemessenen Umgang mit ihren Kindern zu unterstützen.

Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts findet unter Federführung der Medical School Hamburg (MSH) statt. Sie wird als partizipativer Prozess unter Einbezug der zentralen Projektakteure gestaltet und von einem wissenschaftlichen Beirat mit Vertreterinnen und Vertretern von VIFF, DGSPJ und NZFH begleitet.