Kompetenzen bündeln
Familien können durch eine gute Netzwerkkooperation zwischen Frühförderung und Frühen Hilfen nur gewinnen. Beide Angebote sind multiprofessionell und partizipativ ausgerichtet, sie unterstützen und fördern Kinder und Familien.
360.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland haben eine seelische, geistige oder körperliche Beeinträchtigung. Jedes Jahr erhalten, konservativ geschätzt, mindestens 100.000 Kinder Förderung durch Interdisziplinäre Frühförderstellen. Frühförderung richtet sich dabei vorrangig an Kinder von null bis sechs Jahren, die von einer Behinderung oder auch durch gravierende psychosoziale Risiken in ihrer Entwicklung betroffen bzw. gefährdet sind.
Insbesondere diese letztgenannten Risiken nehmen zu: Schon 2010 hat der Bundesvorstand der Lebenshilfe im Rahmen der Tagung "Interdisziplinäre Frühförderung im System der Frühen Hilfen" festgestellt, dass sich im Lauf der Jahre der Charakter der Frühförderung verändert hatte, da zunehmend mehr Kinder mit Entwicklungsstörungen oder Entwicklungsverzögerungen in die Frühförderstellen gekommen und soziale Problemlagen der Familien in den Vordergrund der Beratungsarbeit getreten waren.
Die Zahl der Frühförderkinder hat sich in den letzten 30 Jahren teilweise vervierfacht. Die zunehmenden Entwicklungsstörungen und -risiken hängen immer häufiger mit sozialen Faktoren zusammen. Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte berichteten 2019 in einer Befragung des NZFH, dass 13,8 Prozent der behandelten Familien psychosozial stark belastet sind und sich das auf die Kindergesundheit auswirkt.
Negative Entwicklungsbedingungen so früh wie möglich zu erkennen und ihnen mit zielgerichteten Unterstützungsmaßnahmen für Eltern und Kinder entgegenzuwirken, ist gemeinsames Ziel von Frühförderung und Frühen Hilfen. Eine enge Kooperation liegt nahe und hat sich in den letzten Jahren in vielen Kommunen positiv entwickelt und verstetigt.
Frühförderung und Frühe Hilfen richten sich ganzheitlich aus und beziehen die Familie des Kindes durch die Beratung der Eltern, die Vernetzung der Familie mit anderen sozialräumlichen Angeboten und die Förderung der familiären Beziehungen ein. Beide passen ihre Angebote individuell an die Bedürfnisse der jeweiligen Familie an; sie sind wissensbasiert ausgerichtet, beide haben einen multiprofessionellen Ansatz.
In der Frühförderung gibt es vielfältige Kompetenzen und spezialisiertes Wissen über die Entwicklung in der frühen Kindheit. Frühförderung verfügt über diagnostische Verfahren und erbringt pädagogische und medizinisch-therapeutische Leistungen. Allerdings arbeitet die Frühförderung eher kurativ und zu größeren Anteilen mit der Altersgruppe der 4- bis 6-Jähigen. Hier kann durch eine Kooperation im Netzwerk Frühe Hilfen die Prävention früher beginnen. Zudem sind die Zugangsbarrieren zur Frühförderung vergleichsweise hoch: Es müssen Anträge gestellt und von Fachleuten bewilligt werden. Das überfordert manche Familien. Hier können Fachkräfte in den Frühen Hilfen, z. B. eine Familienhebamme, unterstützen.
Durch eine gute Kooperation können die Zugänge zu den Angeboten der Frühförderung niedrigschwelliger gestaltet und Kinder mit (drohender) Entwicklungsstörung möglichst frühzeitig unterstützt werden.