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Belastungs- und Versorgungslagen von Familien mit Säuglingen und Kleinkindern im Spiegel der deutschen Prävalenzstudie

Vortrag von Sabine Walper, Deutsches Jugendinstitut (DJI)*

Der Übergang zur Elternschaft ist eine anforderungsreiche Phase für werdende Eltern, die vielfältige Anpassungen der Mütter und Väter an die Bedürfnisse ihres Kindes erforderlich macht. Der Aufbau neuer kindgerechter Routinen im Alltag, die Entwicklung eines feinfühligen Verständnisses dessen, was Säuglinge und Kleinkinder im jeweiligen Moment brauchen, und die Herausbildung eines geeigneten Repertoires an elterlichen Versorgungsleistungen und Erziehungskompetenzen fordern Zeit, Kraft und Geduld der Eltern und machen Umstellungen in der alltäglichen Lebensführung notwendig (Reichle & Werneck, 1999). Nicht immer gelingt dies ohne professionelle Unterstützung.

Mit der Bundesinitiative Frühe Hilfen und der Gründung des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) wurden bundesweit konzertierte Anstrengungen unternommen, um Familien in der Zeit zwischen Schwangerschaft und den ersten Lebensjahren der Kinder verbesserte Angebote zur Abwendung von Belastungs- und Risikolagen für die Entwicklung der Kinder verfügbar zu machen (Sann, 2012). Ergänzend zur Landschaft kommunaler Angebote wurde durch die Kooperation von Fachkräften des Gesundheitswesens und der sozialen Dienste ein breites Netz gespannt, das (werdenden) Eltern mit Unterstützungsbedarf in dieser wichtigen Entwicklungsphase die Zugänge zu passgenauen Angeboten im Bereich der selektiven und indizierten Prävention erleichtern soll.

Die naheliegende Frage, wie gut damit der Bedarf von Familien gedeckt werden kann, ist jedoch offen. Hier setzt die Prävalenz- und Versorgungsstudie des NZFH an. Sie soll darüber informieren, mit welchen Belastungslagen junge Familien konfrontiert sind, welche Unterstützungsbedarfe sich hieraus ableiten lassen, inwieweit Familien Kenntnis von vorhandenen Angeboten haben und welche dieser Angebote sie tatsächlich nutzen.

Befunde aus der Pilotuntersuchung zur Deutschen Prävalenz- und Versorgungsstudie

Zur Vorbereitung der bundesweit repräsentativ angelegten Prävalenz- und Versorgungsstudie mit angestrebten 9000 teilnehmenden Familien wurde eine intensive Pilotuntersuchung in zwei Städten durchgeführt, die durch erhöhte Arbeitslosigkeit gekennzeichnet sind und aufgrund ihrer Sozialstruktur vermehrte Belastungen und einen stärkeren Unterstützungsbedarf junger Familien erwarten lassen. Obwohl diese Pilotuntersuchung zunächst vor allem methodische Fragen klären sollte, die sich auf den geeigneten Zugang zu Familien beziehen, liefern die gewonnenen Daten auch erste Informationen zu inhaltlichen Fragestellungen. Wesentlich aufschlussreicher wird allerdings die Hauptstudie sein, deren Daten im Spätsommer 2015 erwartet werden.

Der Zugang zu den Familien erfolgte in einer der beiden Städte über das Einwohnermeldeamt, wobei 34 Prozent der Familien mit einem bis zu dreijährigen Kind (N = 4.774 Familien) teilnahmen. In der anderen Stadt wurden Familien mit einem bis zu dreijährigen Kind anlässlich der pädiatrischen Früherkennungsuntersuchungen (U-Untersuchungen) ihres Kindes für die Teilnahme gewonnen. Immerhin 56 Prozent (N = 1.580 Familien) der auf diesem Weg angesprochenen Eltern nahmen an der Befragung teil.

Eine zentrale Fragestellung bezieht sich auf soziale Disparitäten in den Risikofaktoren, die Elternschaft erschweren und überschatten können. Geringe Bildungsressourcen und – vielfach in deren Folge – Armut spielen hierbei eine zentrale Rolle. Zahlreiche Untersuchungen haben aufgezeigt, dass Armut nicht nur zu persönlichen Belastungen der Eltern beiträgt, sondern über Beeinträchtigungen der familialen Beziehungen und Interaktionen auch zum Risikofaktor für die Kinder werden kann (Walper, 2008). Entsprechend wurde untersucht, wie sich die Prävalenz einzelner Risikofaktoren je nach finanzieller Situation der Familien unterscheidet. Verglichen wurden Familien, die über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen bedarfsgewichteten Pro-Kopf-Einkommens verfügten (Armutsrisiko), mit allen anderen, finanziell besser gestellten Familien. Wie zu erwarten stand Armut in engem Zusammenhang mit der Bildung der Eltern. 66 Prozent der armutsbelasteten Familien verfügten nur über eine geringe Bildung der Eltern, in 24 Prozent der Fälle hatten die Eltern eine mittlere Bildung und in lediglich 8 Prozent der Armutsfamilien wiesen die Eltern eine höhere Bildung auf.

Insgesamt sechs Risikofaktoren wurden näher beleuchtet, und in allen Fällen zeigten sich signifikante, überwiegend sogar hochsignifikante Nachteile von Familien in Armut. Schon der Start in die Elternschaft stand unter markant anderen Vorzeichen. So waren die sozialen Disparitäten hinsichtlich früher Elternschaft besonders ausgeprägt – ein Risikofaktor, der leicht zu Überforderung in der Elternrolle beiträgt. Während 11,3 Prozent der Mütter in Armut im Alter unter 21 Jahren ihr erstes Kind bekamen, war dies nur bei 1 Prozent der finanziell besser gestellten Familien der Fall. Wie erwartet war das Risiko seelischer Belastungen der Mütter bei Armut erhöht. Jede dritte Mutter in Armutsfamilien (32,6 Prozent) berichtete Hinweise auf depressive Verstimmungen, während dies bei finanziell besser gestellten Müttern »nur« knapp jede fünfte Mutter betraf (19,6 Prozent). Hinsichtlich der Lebenszeitprävalenz psychischer Erkrankungen waren die Unterschiede weniger ausgeprägt. Auch hier zeigten sich aber etwas höhere Belastungen bei Müttern in Armut (16,3 Prozent) als bei Müttern in finanziell besser gestellten Familien (11,8 Prozent). Zudem berichteten Mütter in Armut häufiger Gewalterfahrungen in intimen Beziehungen. Fast jede fünfte Mutter in Armutsfamilien (18,9 Prozent) hatte im Verlauf ihres Lebens Gewalt in einer Partnerschaft erlebt, während dies nur bei 7,3 Prozent der Mütter in Familien ohne Armut der Fall war. Wie diese Befunde nahelegen, tangieren die vielfältigen Belastungen armutsbetroffener Mütter auch deren Erleben in der Elternrolle. Mütter in Armut erlebten ihre Elternschaft eher als Einschränkung (31,1 Prozent) als Mütter in Familien ohne Armut (23,3 Prozent). Nicht zuletzt waren Sorgen um die Entwicklung der Kinder in Armutsfamilien häufiger verbreitet (27,1 Prozent) als in finanziell besser gestellten Familien (16,3 Prozent).

Fazit

Diese Befunde werfen ein erstes Schlaglicht auf die Situation von Eltern – hier insbesondere der Mütter – in finanziellen Belastungslagen. Wenngleich diese Daten nicht repräsentativ für die Bundesrepublik sind, zeigen sie doch, dass Armut ein markanter Risikofaktor ist, der vielfach im Kontext weiterer belastender biografischer Erfahrungen steht und Elternschaft erschwert. Inwieweit die betroffenen Eltern vor diesem Hintergrund Hilfen in Anspruch nehmen, werden weitere Analysen zeigen. Schon jetzt verweisen Vergleiche von Eltern mit unterschiedlichem Bildungsniveau auf differenzielle Zugänge, wobei Eltern mit niedriger Bildung zwar häufiger Beratungsangebote in Anspruch nehmen, aber weniger auf primärpräventive Angebote wie die Hilfe von Hebammen in der Nachsorge oder Eltern-Kind-Gruppen zurückgreifen. Letztere gilt es noch verstärkt zugänglich zu machen.

* Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen wird getragen von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Kooperation mit dem Deutschen Jugendinstitut e.V. (DJI)

Literatur:

Reichle, B., & Werneck, H. (1999). Übergang zur Elternschaft: Aktuelle Studien zur Bewälti- gung eines unterschätzten Lebensereignisses (Bd. 16). Stuttgart: Lucius & Lucius.

Sann, A. (2012). Frühe Hilfen – Entwicklung eines neuen Praxisfeldes in Deutschland. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 59(4), 256–274.

Walper, S. (2008). Sozialisation in Armut. In: Hurrelmann, K., Grundmann, M., & Walper, S. (Hrsg.). Handbuch der Sozialisationsforschung, S. 204–214. Weinheim: Beltz.