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Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz 2007

Empfehlung und Problemkreise:

Die Regierungschefs der Länder empfehlen der Bundeskanzlerin folgenden gemeinsamen Beschluss:

Für die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Länder haben das Wohl unserer Kinder und ein wirksamer Kinderschutz höchste Priorität. Die weit überwiegende Zahl der Kinder in Deutschland wächst gesund auf, wird von ihren Eltern geliebt und gefördert. Ihre Mütter und Väter wollen das Beste für die Zukunft ihrer Kinder und nehmen ihre Erziehungsverantwortung sehr ernst. Doch es gibt auch Eltern, die - oftmals trotz guter Vorsätze – verunsichert und überfordert sind. Im schlimmsten Fall kann diese Überforderung zu Kindesvernachlässigung und -misshandlung bis hin zur Kindstötung führen.

Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Länder sind sich einig darin, die schon bestehenden Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen zu verstärken, um Vernachlässigung, Verwahrlosung und Misshandlung von Kindern vorzubeugen und schnell und wirksam Hilfen für Kinder in Not und überforderte Eltern bereit zu stellen. Dabei ist allen Beteiligten bewusst, dass das gedeihliche Aufwachsen unserer Kinder und ein aktiver Kinderschutz in erster Linie Aufgabe der Eltern ist. Aber auch Staat und Gesellschaft tragen Verantwortung dafür. Wir brauchen in unserem Land eine Kultur des Hinsehens und hohe Achtsamkeit für Kinder. Wer den Schutz der Kinder verbessern will, muss auch soziale Zusammenhänge berücksichtigen und Kinderarmut abwenden.

Zwei Problemkreise sind deutlich zu verbessern:

Früherkennung
Die Risiken in hoch belasteten Familien müssen früher erkannt werden, die Familien brauchen passgenaue, verlässliche und kontinuierliche Unterstützung, Begleitung und Hilfen, und dies bereits angefangen während der Schwangerschaft.

Vernetzung
Die Verknüpfung von Hilfen muss bereits im frühen Säuglings- und Kindesalter in einem engen Zeitraster erfolgen. Nötig ist eine verbindliche Vernetzung zwischen dem Gesundheitswesen, den Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe, den Sozialämtern, der Justiz (Familiengerichte) und der Polizei. Informationen müssen schnell und verlässlich ausgetauscht werden, damit vor Ort die Angebote optimiert und die betroffenen Kinder und Eltern schneller und wirkungsvoller erreicht werden können.

Beschluss:

Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Länder fassen folgenden Beschluss

1. Starke Netze für Kinder und Eltern knüpfen. Bund und Länder werden in Zusammenarbeit mit Kommunen und mit Unterstützung des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen bis April 2008 Vorschläge für vernetzte Strukturen und regelhafte soziale Frühwarnsysteme und Fördersysteme entwickeln.

2. Anstrengungen für Kinder in Not verstärken. Die Bundeskanzlerin wird in Abstimmung mit den Ländern das BMFSFJ und das BMJ beauftragen, die Wirksamkeit des in § 8a SGB VIII verankerten Schutzauftrages und die Verpflichtung der aufsuchenden Jugendhilfe zu prüfen und bis Ende Februar 2008 Vorschläge zu unterbreiten.

3. Datenschutz darf Kinderschutz nicht behindern. Die Bundesregierung wird in Abstimmung mit den Ländern prüfen, welche Änderungen erforderlich sind, die länderübergreifend und vor Ort den reibungslosen Austausch personenbezogener Daten der Kinder und Erziehungsberechtigten zwischen den zuständigen Melde- und Sozialbehörden (insb. Gesundheitswesen, Jugendhilfe), aber auch mit Polizei, Justiz sowie Schule zum Schutz gefährdeter Kinder in überforderten Familien gewährleisten.

4. Verbindlichkeit von Vorsorgeuntersuchungen herstellen. Der Bund und die Länder stimmen darin überein, dass Vorsorgeuntersuchungen verbunden mit Rückmeldungen und Kontrollen zum wirksamen Kinderschutz beitragen. In vielen Ländern wurden bereits Weichen richtig gestellt und gesetzliche Regelungen eingeführt; diesen Weg gilt es fortzusetzen, denn Ziel ist, dass jedes Kind an den Vorsorgeuntersuchungen teilnimmt. Die überwiegende Zahl der Länder regelt dieses über ein verbindliches Einladewesen. Die Länder fordern die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf einzubringen, mit dem die Krankenkassen verpflichtet werden, untereinander und mit Dritten – den Ländern bzw. dem öffentlichen Gesundheitsdienst -, bei Maßnahmen zur Steigerung der Inanspruchnahme der Früherkennungsuntersuchungen zu kooperieren.

5. Vorsorgeuntersuchungen besser und engmaschiger gestalten. Der Bund und die Länder sind sich einig, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um eine Weiterentwicklung und Verbesserung der Vorsorgeuntersuchungen zu erreichen. Dies betrifft die Fortentwicklung der Inhalte der Vorsorgeuntersuchungen, ihre Standardisierung und Qualitätssicherung sowie die Überarbeitung der Richtlinien zur Früherkennung von Krankheiten bei Kindern, speziell im Hinblick auf Kindesmissbrauch und -vernachlässigung. Auch müssen die Intervalle zwischen den Untersuchungen enger gefasst werden. Insbesondere die Lücke zwischen der U7 und der U8 im dritten Lebensjahr sollte durch die Einführung einer Untersuchung U7a geschlossen werden.

6. Kinder brauchen die beste Förderung von Anfang an und unabhängig von ihrem Elternhaus. Der gemeinsame Beschluss von Bund und Ländern, ab 2008 die Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen bedarfsgerecht auszubauen, muss zügig umgesetzt werden. Dies ist wichtig für alle Kinder und besonders für Kinder in schwierigen Lebenssituationen und überforderte Eltern.

7. Wächteramt der Familiengerichte und Jugendämter stärken: Um eine gesetzliche Grundlage für verbesserte Eingriffsmaßnahmen und beschleunigte familiengerichtliche Verfahren bei der Gefährdung des Kindeswohls zu schaffen, wird der Bund darauf hinwirken, dass die Beratungen des Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls zügig fortgeführt werden.

8. Zusammenarbeit zwischen Gerichten und Jugendämtern verbessern: Die Bundesregierung wird in Zusammenarbeit mit den Ländern prüfen, welche weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen zur Förderung einer reibungslosen Kooperation der Familien- und Jugendgerichte mit den Jugendämtern zum Wohle gefährdeter Kinder und Jugendlicher erforderlich sind. Staatliches Handeln gegenüber Eltern und Kindern in schwierigen Lebenssituationen sollte stets aufeinander abgestimmt und widerspruchsfrei sein.

9. Über die Frage der grundgesetzlichen Verankerung von Kinderrechten besteht unter den Ländern keine Einigkeit, sie wird weiter erörtert.